1. Zusatzprotokolle
Die Europäische Menschenrechtskonvention EMRK wird durch 16 Zusatzprotokolle (ZP) ergänzt. Das erste, vierte, sechste, siebente, zwölfte und 13. Zusatzprotokoll enthalten materiell-rechtliche Bestimmungen, also im Vergleich zur EMRK zusätzliche Menschenrechte (etwa der Schutz des Eigentums in ZP 1 Art. 1) oder erweiterte Menschenrechte (so dehnt ZP 12 das auf Konventionsrechte beschränkte Diskriminierungsverbot aus zu einem allgemeinen Diskriminierungsverbot). Die übrigen Zusatzprotokolle änderten den Verfahrensablauf vor dem Gericht oder sprachen dem Gericht mehr Kompetenzen zu. Speziell ist, dass die Verfahrensänderungen jeweils für alle Staaten gelten (und die EMRK abändern). Deshalb müssen diese ZP, im großen Unterschied zu den materiell-rechtlichen ZP, auch von allen Vertragsstaaten unterzeichnet und ratifiziert werden, bevor die Verfahrensänderung in Kraft treten kann. Ältere verfahrensrechtliche ZP wurden sukzessive von den jüngeren überlagert ( www.humanrights.ch/de/internationale-menschenrechte/europarat-abkommen/zusatzprotokolle/ ).
2. Vorläufiger Rechtsschutz
Vorläufige Maßnahmen können auf Antrag und von Amts wegen gem. Art. 39 EGMR-Verfahrensordnung erlassen werden. Der Gerichtshof hat eine Faxnummer speziell für Anträge auf Erlass vorläufiger Maßnahmen eingerichtet: +33 (0)3 88 41 39 00. Annahmezeiten für Faxe und Briefe: Montag bis Freitag von 8:00 bis 16:00 Uhr. Nach 16:00 Uhr eingereichte Anträge werden normalerweise nicht mehr am selben Tag bearbeitet. Auf der ersten Seite des Antrags sollte im Fettdruck "Rule 39. Urgent" stehen. In Ausweisungs- und Auslieferungsfällen sollte außerdem angegeben werden: "Abschiebung vorgesehen für (Datum, Zeit und Zielort): (...)"
Anträge auf vorläufige Maßnahmen dürfen nur mit Zustimmung des Beschwerdeführers beim Gerichtshof eingereicht werden. Der Antrag sollte zusammen mit einem vollständig ausgefüllten Beschwerdeformular eingereicht werden. Stellt ein Vertreter den Antrag, so ist eine Vollmacht beizufügen oder innerhalb weniger Tage nachzureichen.
Hinweis:
Kopien aller für den Antrag relevanten Entscheidungen, insbesondere Entscheidungen der nationalen Gerichte oder sonstiger Behörden und Kopien aller sonstigen Unterlagen, die die beim Gerichtshof vorgebrachten Behauptungen belegen, sind dem Antrag beizufügen (www.echr.coe.int/Documents/Interim_Measures_DEU.pdf ).
3. Entschädigungsansprüche
Der Anspruch auf eine gerechte Entschädigung ist in Art. 41 EMRK geregelt: "Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist."
Neben einem eventuellen immateriellen Schaden, etwa wegen einer überlangen Verfahrensdauer oder ungerechtfertigter Haft, können auch Kosten und Auslagen erstattet werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat ein Beschwerdeführer nur insoweit Anspruch auf Ersatz von Kosten und Auslagen, als nachgewiesen wurde, dass diese tatsächlich und notwendigerweise entstanden sind und der Höhe nach angemessen waren (EGMR, Urt. v. 22.1.2009 – 45749/06, JR 2009, 172–175 = NStZ 2010, 262 = StV 2009, 561–563). Zinsen werden nach Ermessen zugesprochen; für die Berechnung der Verzugszinsen wird häufig der Spitzenrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank zuzüglich drei Prozentpunkten zugrunde gelegt.
4. Pilotverfahren
Viele der ungefähr 69.000 vor dem EGMR anhängigen Fälle sind sog. Wiederholungsfälle, die aus einer verbreiteten Fehlfunktion auf innerstaatlicher Ebene resultieren. Das Piloturteilsverfahren gem. Art. 61 EGMR-Verfahrensordnung wurde als Technik entwickelt, um die strukturellen Probleme zu identifizieren, die den Wiederholungsfällen in vielen Ländern zugrunde liegen und um den Staaten eine Verpflichtung aufzuerlegen, sich dieser Probleme anzunehmen. Wenn dem Gerichtshof mehrere Beschwerden vorliegen, die auf dieselbe Ursache zurückzuführen sind, kann er einen oder mehrere Fälle für eine vorrangige Behandlung nach dem Piloturteilsverfahren auswählen. Im Piloturteilsverfahren besteht die Aufgabe des Gerichtshofs nicht nur darin zu entscheiden, ob im jeweiligen Fall eine Verletzung der EMRK vorgelegen hat, sondern auch, das strukturelle Problem zu identifizieren und der Regierung gegenüber klare Angaben zu machen, wie das Problem zu beheben ist. Ein Hauptelement des Piloturteilsverfahrens bildet die Möglichkeit, ähnliche Fälle für eine gewisse Zeit zurückzustellen unter der Bedingung, dass die Regierung umgehend handelt, indem sie Maßnahmen auf nationaler Ebene trifft, die dazu nötig sind, dem Urteil Folge zu leisten. Der Gerichtshof kann allerdings jederzeit die Prüfung vertagter Fälle wieder aufnehmen, wenn das Rechtsinteresse dies erfordert. Seit 2006 stellte der Gerichtshof beispielsweise immer wieder fest, dass Deutschland nicht dafür Sorge trug, dass Verfahren vor den Verwaltungsgerichten innerhalb angemessener Frist durchg...