Das Recht bezieht seine Autorität aus verschiedenen Quellen. Eine dieser Quellen ist Verlässlichkeit: Je verlässlicher das Recht ist, desto eher kann sich der Rechtsanwender auf die jeweilige Lage einstellen. Das gilt für den Gesetzgeber ebenso wie für die Rechtsprechung. Während der Gesetzgeber jedoch gelegentlich eigenen politischen Motivationen folgt und die Verlässlichkeit über Bord wirft, bleibt die vage Hoffnung, die Gerichte mögen dies nicht ebenso tun. Das gilt umso mehr, als das Gesetz bekanntlich nicht jede Detailfrage regelt.
Dass Recht durch unabhängige Gerichte bzw. von unabhängigen Richtern gesprochen wird, verleiht unserer Rechtsprechung eine höhere Legitimität und unser Rechtssystem nimmt dabei in Kauf, dass es zu Meinungsverschiedenheiten kommen kann. Es gibt keinen Mechanismus, Meinungsverschiedenheiten zwischen Spruchkörpern des gleichen Gerichts formal auszufechten (die obersten Bundesgerichte und die dortigen gemeinsamen Senate sowie den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes einmal ausgenommen). Erste Instanzen können von zweiten und dritten Instanzen abweichen – wohlwissend, dass ihre Entscheidung durch das geeignete Rechtsmittel angefochten oder aufgehoben werden kann.
Es sprechen also durchaus gute Gründe für die Verlässlichkeit wie auch für die Unabhängigkeit des Rechts. Nichtsdestotrotz bleiben Einzelentscheidungen schwer vermittelbar.
So die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts, das in seinem Beschluss zur Streitwertfestsetzung in einem Eilverfahren eine solch schwer vermittelbare Position vertreten hat (Beschl. v. 18.4.2017 – 4 L 1613/17). In dem Verfahren war das materielle Recht von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden streitbestimmend, die Kammer legte den Auffangstreitwert zugrunde. Wörtlich hieß es: „Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Die Kammer hält insoweit an ihrer am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 orientierten Rechtsprechung fest, den Streitwert in Verfahren betreffend Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf den Auffangstreitwert festzusetzen. Sie folgt nicht den Empfehlungen im Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013, den Streitwert in solchen Verfahren auf einen Wert von 15.000 EUR festzusetzen. Dies würde zur Überzeugung der Kammer der vom Gesetzgeber der Gemeindeordnung NRW verfolgten Intention zuwiderlaufen, die Bürgerbeteiligung zu stärken (vgl. etwa Gesetz vom 13.12.2011, GVBl. S. 685).“
Damit erteilte das Gericht dem Streitwertkatalog von 2013 eine Absage, der seit den Änderungen in 2012/2013 mit Nr. 22.6 eine eigene Position „Bürgerbegehren“ erhalten hatte. Auf diese Weise sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Auffangstreitwert von 5.000 EUR gerade nicht dem Wert dieser Verfahren entspricht. Im Übrigen wurden Kommunalverfassungsstreitigkeiten bereits im vorherigen Streitwertkatalog höher, nämlich mit 10.000 EUR, angesetzt. Nachdem Bürgerbegehren nicht zwangsläufig hierunter zu subsumieren waren, hatte sich die Streitwertkommission für eine eigene Ziffer mit einem Wert von 15.000 EUR entschieden.
Damit existiert nun eine – durchaus rechtfertigungsbedürftige, aber offensichtlich auch zu rechtfertigende – Abweichung vom Auffangstreitwert und auch vom allgemeinen Kommunalverfassungsstreitwert nach oben. Nachlesbar im Streitwertkatalog und seit Jahren anwendbar.
Nun weicht das VG Köln ab. Es hält den vorgeschlagenen Wert offenbar für zu hoch gegriffen. Warum? Weil dann die Gerichtsgebühren 293 EUR (anstelle von 146 EUR) betragen würden? Die höheren Anwaltskosten – die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG steigt von 393,30 EUR auf 845 EUR zzgl. MwSt. – dürften bei der Bewertung unerheblich sein, da in dem konkreten Fall keine der beiden Parteien anwaltlich vertreten war.
Dennoch bestand die Sorge, ein höherer Streitwert (quasi verdoppelte Gebühren) könnte den Willen des Gesetzgebers unterlaufen, die Bürgerbeteiligung zu stärken. Das Gericht wollte durch seine Streitwertfestsetzung den Bürgern offenbar den Gang zum Gericht erleichtern. Das begegnet gleich einer Vielzahl von Bedenken:
- Sollte der Landesgesetzgeber tatsächlich maßgebend hinsichtlich der Anwendung von Bundesgesetzen (GKG/RVG) sein können?
- Ist die Frage des Zugangs zu Gericht so prominent in der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen? Dann sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass der Bürger einen Rechtsstreit auch gewinnen kann.
Das passiert zugegebenermaßen in Eilverfahren rund um Bürgerbegehren und Bürgerentscheid nicht allzu häufig, aber es kommt vor – auch in Köln. In einem derartigen Fall würde die geringe Streitwertfestsetzung dazu führen, dass den Bürgern ein (zu) geringer Kostenerstattungsanspruch zustehen würde. Bei anwaltlicher Beratung und Vertretung würde der Bürger am Ende unter Umständen nicht vor Kosten geschützt, sondern auf Kosten „sitzen gelassen“ werden. Gerade bei Bürgerbegehren ist es nicht unüblich, dass anwaltliche Tätigkeiten nach Zeithonoraren abgerechnet ...