Mit grundsätzlichen Aussagen hat der BGH (FamRZ 2019, 598 m. Anm. Hammer = MDR 2019, 486 = FuR 2019, 345 bearb. v. Soyka = FamRB 2019,180 m. Hinw. Clausius) in Fortführung seiner Rechtsprechung (vgl. BGH, FamRZ 2017, 212) § 1666 BGB erläutert. Generell ist für Maßnahmen nach dieser Vorschrift erforderlich, dass eine konkrete Gefährdung des Kindeswohls vorliegt. Dies ist der Fall, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind daher umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt. Eine solche Annahme muss auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen. Eine nur abstrakte Gefährdung genügt nicht. Die Prüfung des Grades der Wahrscheinlichkeit ist sowohl bei der Ermittlung des Tatbestandes von Bedeutung als auch für die Auswahl der zu treffenden Maßnahme, die dem Gebot der Verhältnismäßigkeit entsprechen muss. Hierbei gilt es auch abzuwägen zwischen der Schwere des Eingriffs in die elterliche Sorge und dem Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts für das Kind. Bei einer erhöhten Wahrscheinlichkeit ist die Entziehung der elterlichen Sorge, ggf. teilweise, verhältnismäßig. Die negativen Folgen einer Trennung des Kindes von den Eltern muss aber durch die hinreichend gewisse Aussicht auf Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessert. Der BGH geht davon aus, dass die Differenzierung der Wahrscheinlichkeitsgrade auf der Tatbestandsebene und der Rechtsfolgenseite geboten ist, um dem Staat einerseits ein – ggf. niederschwelliges – Eingreifen zu ermöglichen, andererseits aber im Rahmen der Verhältnismäßigkeit eine Korrekturmöglichkeit zur Verhinderung übermäßiger Eingriffe zur Verfügung zu stellen.
Der EGMR (FamRZ 2019, 594 = NJW 2019, 1733 = ZAP EN-Nr. 303/2019) hat bestätigt, dass eine systematische und wiederholte (hier religiös motivierte) Züchtigung von Kindern mittels Rutenschlägen gegen Art. 3 EMRK verstößt und das Risiko der Wiederholung bei der der allgemeinen Bereitschaft der Mutter, diese Erziehungsmethode weiterhin anzuwenden, einen Entzug der elterlichen Sorge rechtfertigt. Eine nach Art. 3 EMRK verbotene Handlung liegt nicht nur vor, wenn einer Person Verletzungen oder psychische Leiden zugefügt werden. Umfasst ist vielmehr auch erniedrigende und unmenschliche Behandlung, welche geeignet ist, den moralischen oder physischen Widerstand einer Person zu brechen.