Das sozialrechtliche Verwaltungsverfahren wurde vor mehr als 40 Jahren im 10. Buch des SGB gesetzlich kodifiziert (Inkrafttreten: 1.1.1981). Eine zusammenhängende Darstellung (knapp 80 Seiten) des Rechtsgebiets findet sich z.B. bei Wallerath in: Sozialrechtshandbuch (SRH), Nomos-Verlag, 6. Aufl. 2018, § 11. Zur Klärung von Einzelfragen ist die einschlägige Kommentarliteratur heranzuziehen (insb. LPK-SGB X, 5. Aufl. 2019 und Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020).
Der Anwendungsbereich für das v.a. wichtige erste Kapitel des SGB X (Verwaltungsverfahren) ergibt sich aus § 1 SGB X. Soweit diese Norm auf die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden (die Legaldefinition des Behördenbegriffs gibt § 1 Abs. 2 SGB X), die "nach diesem Gesetzbuch" ausgeübt wird, abstellt, ist damit die vom Gesetzgeber im Sozialgesetzbuch (SGB I-XII, XIV) geregelte Rechtsmaterie gemeint. Ferner sind miteinbezogen die in § 68 SGB I genannten Rechtsgebiete, die noch nicht in das Sozialgesetzbuch aufgenommen wurden. Der Begriff der Verwaltungstätigkeit beinhaltet nach § 8 SGB X die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsakts (VA) oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags (ÖrV) gerichtet ist; es schließt den Erlass eines VA oder den Abschluss eines ÖrV ein.
Hinweise:
Die nachfolgenden Ausführungen orientieren sich überwiegend an dem herkömmlichen Verwaltungshandeln durch Verwaltungsakt (vgl. §§ 31 ff. SGB X).
In der Praxis bedeutsam sind v.a. die Vorschriften zu Bestimmtheit und Form des VA (§ 33 SGB X), zurâEUR™Begründung (§ 35 SGB X), dort Abs. 1 S. 2 zur Begründung von Ermessensentscheidungen (s. hierzu unten III., auch zur Umdeutung eines fehlerhaften VA nach § 43 SGB X), zur Rechtsbehelfsbelehrung (§ 36 SGB X) und zur Bekanntgabe (§ 37 SGB X).
Hinsichtlich der weiteren Handlungsform des ÖrV (§§ 53 ff. SGB X) ist v.a. die Erscheinungsform der Eingliederungsvereinbarung zu erwähnen. Diese hat der Gesetzgeber zunächst im SGB III (§ 37 Abs. 2 u. 3) vorgesehen und dann v.a. – und weitergehender – im SGB II geregelt (s. dort §§ 2 Abs. 1 S. 2, 15, 31 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1). Allerdings ist der Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung vom Leistungsträger nicht erzwingbar, die Weigerung der Mitwirkung am Abschluss wird in § 31 SGB II nicht (mehr) sanktioniert. Gegebenenfalls ist die Regelung durch VA vorzunehmen (§ 15 Abs. 3 S. 3 SGB II). Nach der Rechtsprechung des BSG besteht weder Anspruch der Leistungsberechtigten auf Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung (wohl aber auf Aufnahme von Verhandlungen darüber) noch auf Benennung eines Ansprechpartners nach § 14 S. 2 SGB II (BSG, Urt. v. 22.9.2009 – B 4 AS 13/09 R, zu Recht krit. Siefert, SGb 2010, 615 und Kador in: Eicher/Luik/Härich, SGB II, § 15 Rn 23). Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang, dass ein ÖrV nur eingeschränkt kontrolliert (§ 58 SGB X) bzw. geändert (§ 59 SGB X) werden kann. Nach § 58 SGB X tritt nur bei VorliegenâEUR™schwerwiegender Mängel die Nichtigkeit des Vertrags ein, auf die Wirksamkeit haben sonstige Rechtsmängel – anders als beim VA – keine unmittelbaren Auswirkungen. Diese Handlungsform der Verwaltung kann demnach zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes führen.
Das SGB X bildet die dritte und letzte Säule des Verwaltungsverfahrensrechts, neben der AO und dem VwVfG. Seine Vorschriften zum sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren werden flankiert von verschiedenen Bestimmungen im ersten und vierten Buch des SGB (vgl. etwa §§ 14,15 16, 35, 39, 60âEUR™ff. SGB I, §§ 40 f., 63 f. SGB IV). Diese Normen füllen den Kernbestand verfahrensrechtlicher Vorschriften im zehnten Buch auf und ergänzen ihn allgemein oder bereichsspezifisch. Daneben finden sich in den Sozialleistungsgesetzen zahlreiche, für die Leistungsberechtigten oft nachteilige Modifikationen. Solche Abweichungen gestattet § 37 S. 1 SGB I (jedoch nicht hinsichtlich der dort in S. 2 angeführten Vorschriften des SGB I und SGB X, die strikt und ohne jegliche Relativierung gelten) in Bezug auf Bestimmungen in den SGB X, IV und I (s. etwa § 330 SGB III, § 40 SGB II, §§ 99 ff. SGB VI, § 116a SGB XII). Das Verfahrensrecht hat als Teilgebiet des "Sekundärrechts" eine "instrumentale", dem materiellen (Primär-)Recht "dienende" Funktion. Der Gesetzgeber mag umfangreiche Leistungen vorsehen, das nützt den Berechtigten aber nichts, wenn sie nicht in der Lage sind, ihre Ansprüche gegenüber der Verwaltung (und den Gerichten) auch zu realisieren.
Die Beschreibung als Verfahrensgesetz ist aber nur vordergründig richtig und unvollständig. Verfahrensgesetze wie auch das SGB X bestimmen nicht nur die prozeduralen Voraussetzungen für die Verwirklichung des materiellen Rechts, sondern bestimmen auch dessen jeweiligen "Inhalt" wesentlich mit. Dem Entscheidungsprozess kommt für die Entscheidung selbst erhebliche Bedeutung zu. Aus dieser Sicht erweist sich das Verwaltungsverfahren als "Umschaltstation" von der normativen in die f...