Verfahrensgrundsätze finden sich in den §§ 8-25 SGB X.
1. Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens
§ 9 SGB X bestimmt die grds. Nichtförmlichkeit des Verfahrens; dieses ist i.Ü. einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen. § 9 SGB X wird getragen von dem Grundgedanken einer Dienstleistungsorientierung, die eine Sozialverwaltung meint, "die vom Bürger her denkt, die Perspektiven der Bürger zum maßgeblichen Blickwinkel macht, nicht aber die Perspektive liebgewonnener Routinen, personalwirtschaftlicher Zwänge oder räumlich-sächlicher Unzulänglichkeiten" (so Prehn in LPK-SGB X, § 9 Rn 10). Die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Anzutreffen ist häufig eine "von Zynismus nicht immer freie Dienstleistungs-Rhetorik (...), die ökonomischen Jargon undifferenziert kopiert und eine sog. ‘Kundenorientierung’ propagiert, die Hilfesuchende (z.B. Arbeitsuchende) zu ‘Kunden’ ihrer eigenen Not macht, ohne jedoch an bürokratischen Hemmnissen mit ihrem z.T. selbstachtungsgefährdenden Potential ernsthaft etwas zu ändern" (Prehn a.a.O).
2. Amtsermittlungsgrundsatz/Beweismittel
§ 20 SGB X betrifft den sog. Amtsermittlungs- bzw. Untersuchungsgrundsatz, eine zentrale Vorschrift für das Tätigwerden der Behörden. Die Ermittlung des Sachverhalts muss demnach von Amts wegen erfolgen (§ 20 Abs. 1 SGB X). Sie hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, ausdrücklich auch für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigen (§ 20 Abs. 2 SGB II; s. auch entsprechend § 103 SGG für das Gerichtsverfahren).
Hinweis:
Die reale Verwaltungspraxis liefert, unter dem Druck ökonomisch bedingter Kosteneinsparungen (lesenswert: Berchtold, Grenzen und Möglichkeiten einer Ökonomisierung sozialgerichtlicher Verfahren,âEUR™NZS 2011, 401) oft ein anderes Bild. In dem bedeutsamen Rechtsgebiet des SGB II wurde jedenfalls in derâEUR™Vergangenheit von einem "gänzlich unzulänglichem Verwaltungsvollzug" und einer "häufig erschreckenden Qualität der Fallbearbeitung" gesprochen (Udsching, Praktische Probleme mit Hartz-IV, Mitteilungsblatt des Dt. Sozialrechtsverbands (Internet) Nr. 34, Mai 2011, S. 5).
Die Frage, welche Beweismittel die Behörde zur Aufklärung des Sachverhalts heranziehen soll, klärt § 21 Abs. 1 SGB X.
3. Der Antrag im Sozialrecht (§ 16 SGB I)
a) Bedeutung der Antragstellung
Der Antrag im Sozialrecht hat weitreichende Bedeutung bei der Durchsetzung von Leistungsansprüchen. Unter Antrag wird eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung verstanden, die auf die Einleitung eines Verwaltungsverfahrens mit dem Ziel des Erlasses eines die eigenen Rechte berührenden Verwaltungsaktes gerichtet ist (vgl. Wallerath, SRH § 11 Rn 55).
Aus dieser Begriffsbestimmung folgt, dass der Antrag eine doppelte Funktion hat: Er ist einmal auf die Einleitung des Verwaltungsverfahrens gerichtet und bestimmt, was der Gegenstand dieses Verfahrens ist. Die Behörde ist gem. § 18 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X verpflichtet, auf Antrag tätig zu werden. Ferner hat der Antrag materiell-rechtliche Funktion, indem er die Voraussetzung dafür erfüllt, dass eine Leistung überhaupt erbracht werden kann und gleichzeitig den Zeitpunkt angibt, ab wann die Leistung erbracht werden darf oder eine sonstige Rechtswirkung eintreten soll.
Für die Sozialversicherung sowie das Recht der Arbeitsförderung und die soziale Pflegeversicherung bestimmt § 19 S. 1 SGB IV, dass grds. Leistungen nur auf Antrag erbracht werden. Ausnahmen von diesem Grundsatz bestehen nur insoweit, als sie sich aus dem Gesetz ergeben. Die einzelnen AntragsregelungenâEUR™ergeben sich aus den einzelnen Sozialgesetzbüchern (auch außerhalb der Sozialversicherung, des RechtsâEUR™der Arbeitsförderung und der sozialen Pflegeversicherung). Hierzu folgender, nicht erschöpfender, Überblick:
- § 15 Abs. 1 BAföG, (Ausbildungsförderung),
- § 7 Abs. 1 BEEG (Elterngeld),
- § 9 Abs. 1 BKGG (Kindergeld nach dem BKGG und Kinderzuschlag),
- § 323 Abs. 1 S. 1 SGB III (Leistungen der Arbeitsförderung), s. aber auch § 323 Abs. 1 S. 2 SGB III und §§ 324, 325 SGB III,
- §§ 37 SGB II (Grundsicherung für Arbeitssuchende),
- § 44 Abs. 1 SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung),
- § 34a Abs. 1 S. 1 SGB XII (Leistungen für Bildung und Teilhabe),
- § 22 WoGG (Wohngeld),
- §§ 99 Abs. 1, 115 Abs. 1 SGB VI (Rentenversicherung),
- § 33 Abs. 1 SGB XI (Pflegeversicherung),
- § 152 Abs. 1 SGB IX (Feststellung der Behinderung), § 151 Abs. 2 SGB IX (Gleichstellung behinderter Menschen),
- §§ 1 Abs. 1, 5, 60 Abs. 1 BVG, § 10 SGB XIV (Soziales Entschädigungsrecht).
Hinweise:
Im Hinblick darauf, dass die Gewährung (fast) aller Sozialleistungen antragsabhängig ist und in vielen Fällen die Leistungen vor Antragstellung, also rückwirkend, nicht oder nur für begrenzte Zeiträume gewährt werden (insoweit sind die in den einzelnen Leistungsgesetzen getroffenen Regelungen maßgeblich, s. etwa § 37 Abs. 2 S. 2 SGB II, wonach der Antrag auf Leistungen auf den Ersten des MonatsâEUR™zurückwirkt oder die beschränkte Rückwirkung im Rentenrecht, § 99 Abs. 1 S. 1 SGB VI), istâEUR™eine rasche und rechtzeitige Antragstellung empfehlenswert. Allerdings kann sich bei Beratungsfehlern der Leistungsträger eine Rückwirkung des Antrags über das Institut des sozialrechtliche...