Zeitliche Begrenzung der Beitragserhebung bei Abweichung vom Bauprogramm
Am 1.6.2022 ist das Dritte Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuches in Nordrhein-Westfalen vom 13.4.2022 (GV NRW, S. 671) in Kraft getreten, durch das mit dem neuen § 3âEUR™BauGB-AG NRW eine Regelung über die "Zeitliche Obergrenze für den Vorteilsausgleich von Erschließungsbeiträgen nach BauGB" eingeführt wurde. Die hier maßgeblichen Bestimmungen in § 3âEUR™Abs. 1 und 2 BauGB-AG NRW lauten:
Zitat
"(1) Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen nach § 127 des Baugesetzbuches (...) durch die Gemeinden erfolgt auf der Grundlage des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (...) mit der Maßgabe, dass ihre Festsetzung unabhängig vom Entstehen der Beitragspflicht mit Ablauf des zehnten Kalenderjahres, das auf den Eintritt der Vorteilslage folgt, ausgeschlossen ist. (2) 1 Für Erschließungsbeitragsbescheide, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens von Absatz 1 noch nicht bestandskräftig waren, beträgt die Frist 20 Jahre. 2 Diese Frist gilt auch für das Erheben von Erschließungsbeiträgen, wenn die Vorteilslage im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits besteht."
Der Begriff der Vorteilslage als Ausgangspunkt für die Berechnung der landesrechtlichen Ausschlussfrist nach § 3 Abs. 1 und 2 BauGB-AG NRW ist im Gesetz nicht definiert. Das BVerwG stellt in seinem Urt. v. 15.11.2022 (9 C 12/21) klar, dass es für das Entstehen der Vorteilslage maßgeblich auf die tatsächliche bautechnische Durchführung der jeweiligen Erschließungsmaßnahme ankomme undâEUR™die Vorteilslage eingetreten sei, wenn dem gemeindlichen Bauprogramm und dem technischen Ausbauprogramm entsprochen worden sei. Mit dem Erfordernis der – vollständigen – Erfüllung desâEUR™Bauprogramms werde zur Bestimmung des relevanten abgeschlossenen Vorgangs auf den Begriff der "endgültigen Herstellung" der Erschließungsanlage als Voraussetzung für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht nach § 133 Abs. 2 S. 1 BauGB zurückgegriffen. Danach sei eine Anbaustraße erschließungsbeitragsrechtlich endgültig hergestellt, wenn sie die nach dem satzungsmäßigen Teileinrichtungsprogramm (für die nicht flächenmäßigen Teileinrichtungen) und dem ergänzenden Bauprogramm (bezüglich der flächenmäßigen Teileinrichtungen) erforderlichen Teileinrichtungen aufweise und diese dem jeweils für sie aufgestellten technischen Ausbauprogramm entsprächen. Die vollständige Umsetzung des gemeindlichen Bauprogramms und des technischen Ausbauprogramms sei eine Voraussetzung, die in tatsächlicher Hinsicht vorliegen müsse, damit die Erschließungsanlage endgültig hergestellt und der durch sie vermittelte Vorteil tatsächlich vollumfänglich nutzbar sei. Vor diesem Hintergrund sei es sachgerecht, dass die Rechtsprechung auch den Eintritt der für die zeitliche Begrenzung der Beitragserhebung relevanten Vorteilslage davon abhängig mache.
Hinweis:
Der Umstand, dass eine Anlage über viele Jahre nicht weitergebaut wird, kann den Schluss rechtfertigen, dass die seinerzeitigen Ausbauarbeiten endgültig beendet worden sind (vgl. BVerwGE 155, 171 Rn 28, BVerwGE 156, 326 Rn 26, BVerwGE 158, 163 Rn 14). Gleichwohl kann in einem solchen Fall die Vorteilslage trotz Abweichung vom ursprünglichen Bauprogramm eintreten (BVerfGE 159, 183 Rn 75). Maßgebend für diese Fallkonstellation ist, dass das ursprüngliche Bauprogramm tatsächlich aufgegeben worden ist. Der Beschluss, mit dem die Planung an den vorhandenen Zustand angepasst wird, vollzieht dann nur noch zum Zweck der Abrechenbarkeit die bereits abgeschlossene tatsächliche Entwicklung nach und bildet den rechtlichen Schlusspunkt.