Großes mediales Interesse rief der Fall einer Bewerberin um eine Rechtsanwaltszulassung hervor. Diese wurde 2011 wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt, nachdem sie während ihres Referendariats im Anschluss an eine vermeintlich unfaire Behandlung ihren ausbildenden Staatsanwalt mit drastischen Worten angegangen hatte (u.a. hieß es in der an den Staatsanwalt gerichteten E-Mail: "Sie sind ein provinzieller Staatsanwalt, der nie aus dem Kaff rausgekommen ist, in dem er versauert. Ihr Weltbild entspricht dem des typischen deutschen Staatsbürgers von 1940. Mit Ihrem Leben und Ihrer Person sind Sie so zufrieden wie das Loch vom Plumpsklo. Als Sie mich vor sich hatten, sind Sie vor Neid fast erblasst, ich konnte Ihren Hass geradezu sinnlich wahrnehmen. Am liebsten hätten Sie mich vergast, aber das ist ja heute out."). Unter Berufung auf die Verurteilung wurde im Jahr 2015 der Zulassungsantrag der Bewerberin, die auch im weiteren Verlauf nicht von ihren Äußerungen abrückte, wegen Unwürdigkeit (§ 7 Nr. 5 BRAO) abgelehnt. Der BGH (Beschl. v. 27.6.2016 – AnwZ [Brfg] 10/16) bestätigte die Entscheidung des AGH NRW, wonach die Versagung der Zulassung zwar die Berufswahlfreiheit erheblich einschränke, in diesem Fall aber gerechtfertigt sei, da die Bewerberin ihrer Gesamtpersönlichkeit nach für den Anwaltsberuf nicht tragbar sei (AGH NRW, Urt. v. 30.10.2015 – 1 AGH 25/15).
Auch wenn der Inhalt der E-Mail der Assessorin in keiner Weise gutgeheißen werden kann und ihrer späteren Rolle als Organ der Rechtspflege nicht einmal ansatzweise gerecht wird, die Verurteilung wegen Beleidigung also völlig zu Recht erfolgt ist, spricht doch viel dafür, dass die zzt. anhängige Verfassungsbeschwerde (Az. 1 BvR 1822/16) Erfolg haben wird. Denn die oben dargestellten Entscheidungen berücksichtigen die hohe Ausstrahlungswirkung des Grundrechts auf freie Berufswahl (Art. 12 GG) nicht hinreichend. Es erscheint unverhältnismäßig, ein langjähriges faktisches Berufsverbot allein mit einer einmaligen, bereits einige Jahre zurückliegenden Verurteilung zu rechtfertigen, von der die Kammer ohne das in § 41 Abs. 1 Nr. 9 BZRG vorgesehene Recht auf umfassende Auskunft überhaupt keine Kenntnis erlangt hätte. Zudem hätten sich Kammer und Gerichte damit auseinandersetzen müssen, welche Konsequenzen die Bewerberin zu erwarten gehabt hätte, wenn sie zum Zeitpunkt der Beleidigung schon als Rechtsanwältin zugelassen gewesen wäre. Denn jedenfalls lässt sich der jüngeren Gerichtspraxis nicht eine einzige Entscheidung entnehmen, in der eine einfache Beleidigung mit einer Strafe in dieser Höhe zum Verlust der Zulassung geführt hat (für eine Unverhältnismäßigkeit der Zulassungsversagung plädieren auch die BRAK [Stellungnahme Nr. 1/2017 v. Januar 2017] und der DAV [Stellungnahme Nr. 8/2017 v. Februar 2017]).
Die verfassungsrechtlichen Zweifel an den Entscheidungen werden auch deutlich, wenn man diesen Fall mit dem Sachverhalt vergleicht, der dem Urteil des AGH NRW vom 7.10.2016 (Az. 1 AGH 23/16) zugrunde gelegen hat: Zwar wurde auch hier die Zulassung eines (ausländischen) Rechtsanwalts wegen Unwürdigkeit abgelehnt, in Rede standen jedoch sehr gravierende strafrechtliche Verurteilungen, die auf ein "massiv gestörtes Verhältnis zu Recht und Gesetz" hindeuten.