Um gemeinsam mit dem gesamten Kanzlei-Team die Inhalte, die in dem Kanzlei-Leitbild abgebildet werden sollten, zu erarbeiten, eignet sich die Methode der "wertschätzenden Entdeckung". Die sog. wertschätzende Entdeckung ist eine Workshop-Methode zur Veränderung von Organisationen, die in den achtziger Jahren von David Cooperrider in den Vereinigten Staaten entwickelt wurde (vgl. Cooperride/Whitney/Stavros, Appreciative Inquiry Handbook: For Leaders of Change, 2003). Mit ihrer Hilfe kann das positive Potenzial herausgearbeitet werden, das in der Kanzlei und einzelnen Kanzleimitgliedern vorhanden ist. Diese Methode basiert auf der Annahme, dass Menschen mehr erreichen, wenn sie an sich glauben und sich mehr zutrauen. Wenn sie wissen, was sie können, können sie die Vision von der Zukunft mittragen.
Hinweis:
Häufig werden in der Praxis defizit-orientierte Methoden verwendet, um Veränderungsprozesse in Gang zu bringen, z.B. um die Mängel einer Kanzlei aufzudecken. Doch solche Methoden führen oft dazu, dass man um alte Probleme kreist, anstatt Lösungen für die Zukunft zu finden.
Jede wertschätzende Entdeckung beginnt in einem ersten Schritt mit einem Partnerinterview, das die Wahrnehmung zum Positiven lenkt. Hierbei werden positive Erfahrungen und Erlebnisse aus der Vergangenheit für die Gestaltung der Zukunft genutzt. Aus den Ergebnissen der Interviews werden Wünsche, Ziele und Visionen für die Zukunft abgeleitet.
Beispiele für Leitfragen aus einer wertschätzenden Entdeckung:
- Beschreiben Sie eine Arbeitssituation, in der Sie sich besonders gut/motiviert/lebendig/engagiert gefühlt haben. Erinnern Sie sich an ein besonderes Erlebnis in der Kanzlei oder an einen ehemaligen Arbeitsplatz: Was oder wer hat es so besonders gemacht?
Was gefällt Ihnen besonders
- an sich selbst als Kollege/Kollegin/Chef/Chefin,
- an Ihrer Tätigkeit in der Kanzlei,
- an der Kanzlei?
- Wenn Sie jetzt an unsere Kanzlei denken: Was macht die Kanzlei aus? Was macht uns für unsere Mandanten besonders? Warum kommen sie zu uns? Was ist es, durch das wir unverwechselbar sind?
- Welche Wünsche haben Sie für unsere Kanzlei, damit wir mehr Erfolg, mehr Arbeitsfreude und ein vertrauensvolles Miteinander erreichen/beibehalten können?
In einem zweiten Schritt werden diese Situationen/Geschichten verdichtet. Die Leitfrage kann dabei sein: "Welche Aspekte sind hier besonders bedeutend?" Jeder Teilnehmer stellt seinen Interviewpartner und dessen Geschichte in eigenen Worten kurz vor. Der Interviewte kann korrigieren, falls erforderlich. Zusammen wird ein Name für die Geschichte gefunden. Nachdem alle Situationen vorgestellt wurden, werden Gemeinsamkeiten (Aussagen/Richtungen/Werte/Themen etc.) zwischen den Geschichten gefunden. Es entsteht eine Art Mind-Map, die die einzelnen Situationen miteinander verbindet. Am Ende kann eine Quintessenz abgeleitet werden, z.B. eine Richtung, ein Ziel oder eine Kernaussage, welche auch auf die Arbeit in der Kanzlei übertragbar ist. Diese Aussage wird explizit formuliert. Zusätzlich wird die Leitfrage gestellt: "Was können wir daraus lernen?" So finden sich Lehren für eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der Kanzlei, die aus den Situationen/Geschichten abgeleitet werden können.
Beispiel: Beruflicher Wiedereinstieg
- Eine Mitarbeiterin beschreibt in einem Interview ihren beruflichen Wiedereinstieg nach der Erziehungspause. Besonders positiv nahm sie wahr, dass eine ältere Kollegin ihr den Einstieg dadurch erleichterte, dass sie ihr alle nach dem zwischenzeitlichen Ausscheiden aufgetretenen Änderungen in Ruhe erklärt hat. Auch im Anschluss war die Kollegin immer wieder bereit, Fragen zu beantworten und Arbeitsabläufe zu zeigen. Zusätzlich konnte die Mitarbeiterin im aktuellen Kanzlei-Handbuch nachschlagen. Die hilfsbereite und freundliche Art der Kollegin hat der Mitarbeiterin den beruflichen Wiedereinstieg leicht gemacht und dazu geführt, dass sie sich schnell integrieren und ihre Arbeit sogleich mit Freude ausführen konnte. Die Interviewpartnerin findet einen Namen für die Geschichte: Mentoring für Berufsrückkehrerinnen.
- Eine weitere Mitarbeiterin berichtet sehr positiv von ihrem Neueinstieg in die Kanzlei. Auch bei ihr war es eine engagierte Kollegin, die ihr den Start leicht gemacht und eine schnelle Einarbeitung ermöglicht hat. Der Name für die Situation: Begleiteter beruflicher Neueinstieg.
Die Gruppe zieht aus beiden Situationen die Kernaussage, dass eine enge Begleitung durch eine erfahrene Kollegin für den beruflichen Neu- oder Wiedereinstieg die Einarbeitung deutlich erleichtert. In Zukunft sollen neue Mitarbeiter und Rückkehrer durch ein Mentoring unterstützt werden.
In einem dritten Schritt werden Visionen formuliert, die das Leitbild tragen. Beispielsweise sollen sich die Mitarbeiter die Kanzlei im Jahre 2020 vorstellen – die Kanzlei hat sich so entwickelt, wie sie es sich ausgemalt hatten. Sie werden jetzt dazu aufgefordert, zu beschreiben, wie ihre Arbeitswelt nun aussieht. Es werden die wichtigsten Themen der zukünftigen Ar...