Die Rechtsprechung zum Absehen vom Fahrverbot ist unüberschaubar. Es vergeht kein Monat, in dem nicht in jeder einschlägigen Fachzeitschrift mehrere das Fahrverbot und insbesondere das Absehen vom Fahrverbot betreffende Entscheidungen veröffentlicht werden. Diese können nachfolgend nicht alle dargestellt werden, so dass sich die Darstellung auf einen (groben) Überblick beschränken muss, wobei Fallgruppen gebildet werden und die täterbezogenen Umstände im Vordergrund stehen. Zur weiteren Vertiefung wird auf Burhoff/Deutscher (OWi, Rn 1290 ff. m.w.N. aus der Rechtsprechung) verwiesen.
1. Prüfungsmaßstab für die Absehensentscheidung
Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass bei einer grob pflichtwidrigen Katalogtat die Erforderlichkeit und Angemessenheit des Fahrverbots vermutet wird. Fehlt es hieran im Einzelfall, ist nach § 4 Abs. 4 BKatV vom Fahrverbot unter angemessener Erhöhung der Geldbuße abzusehen, wobei allerdings darauf zu achten ist, dass das Höchstmaß des gesetzlichen Bußgeldrahmens nicht überschritten werden darf (vgl. z.B. OLG Düsseldorf DAR 1996, 413 m.w.N.). Bei der Entscheidung über das Absehen haben eine Vielzahl von Einzelkriterien Bedeutung. Dabei spielen im Rahmen der Erforderlichkeit tatbezogene Umstände eine Rolle, während es bei der Angemessenheit allein auf die persönlichen Folgen beim Betroffenen ankommt.
In der Regel ist es nach h.M. ausreichend, dass "erhebliche Härten" oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher oder durchschnittlicher Umstände vorliegen (BGHSt 38, 125 [s.o.]; OLG Rostock VRS 101, 380; OLG Hamm NZV 2003, 398; Beschl. v. 19.1.2010, 2 (6) Ss OWi 987/09). Etwas anderes gilt bei einer Verurteilung nach § 24a StVG. Hier kommt wegen der anderen Formulierung im Gesetz ein Absehen vom Fahrverbot nur bei Vorliegen einer "Härte ganz außergewöhnlicher Art" oder "außergewöhnlicher Umstände" in Betracht (vgl. z.B. OLG Bamberg DAR 2009, 39 = VRR 2009, 33; OLG Braunschweig DAR 1996, 28; OLG Hamm VRS 101, 298 = DAR 2002, 324 m.w.N.; DAR 2008, 652 = VRR 2008, 434).
Hinweise:
Da i.d.R. die persönlichen Umstände des Betroffenen, die ggf. zum Absehen vom Fahrverbot führen können, nicht auf der Hand liegen und daher dem Gericht nicht bekannt sind, muss der Verteidiger dazu vortragen. Die entsprechende Aufklärungspflicht und die damit korrespondierende Begründungspflicht des Gerichts hängen von der entsprechenden Einlassung des Betroffenen ab. Ohne diese Einlassung hat das Gericht keinen Anlass und auch keine Beweismittel dafür, dass das Fahrverbot den Betroffenen unangemessen belasten würde. Deshalb muss sich der Betroffene einlassen und muss alles vortragen, was aus seiner persönlichen Sicht gegen die Anordnung eines Fahrverbots spricht (s. die Fallgestaltung bei OLG Bamberg VRR 2013, 310 = NZV 2014, 98).
Der erforderliche Vortrag muss auch bereits beim AG erfolgen. In der Regel ist es zu spät, erst beim Rechtsbeschwerdegericht zur Erforderlichkeit und Angemessenheit des Fahrverbots vorzutragen bzw. Stellung zu nehmen.
2. Erforderlichkeit des Fahrverbots
a) Erhöhung der Geldbuße
Abgesehen werden kann von einem Fahrverbot u.a. dann, wenn feststeht, dass die mit dem Fahrverbot gewünschte Erziehungswirkung auch mit einer empfindlicheren Geldbuße erreicht werden kann. Soweit ersichtlich wird von den OLG – wohl angesichts der erheblich gewachsenen Verkehrsdichte und da es sich bei den Katalogtaten um besonders schwere Verstöße handelt – die Erforderlichkeit des Fahrverbots meist nicht verneint. Daran hat sich leider auch nichts durch die am 1.2.2009 in Kraft getretenen Änderungen des § 24 StVG i.V.m. der BKatV (vgl. BGBl I 2009, S. 9, dazu Burhoff VA 2009, 33 und VRR 2009, 47) und die nochmaligen Erhöhungen der Geldbußengrenzen bei einem vorsätzlichen Verstoß auf 2.000 EUR und bei einem fahrlässigen Verstoß auf 1.000 EUR Geldbuße geändert. Zumindest der normale Durchschnittsverdiener mit entsprechenden Unterhaltspflichten dürfte durch die Ausschöpfung der neuen Höchstsätze mehr als bisher auch ohne Fahrverbot von der erneuten Begehung vergleichbarer Verstöße abzuhalten sein (so auch schon Deutscher NZV 1999, 113 und NZV 2008, 185; dazu OLG Hamm VRR 2005, 155; VRR 2007, 236; VRR 2008, 43; Burhoff/Deutscher, OWi, Rn 1304 ff.; abl. König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. 2017, § 25 Rn 24). Darauf sollte der Verteidiger beim AG hinweisen und sich dabei auf die entsprechende obergerichtliche Rechtsprechung beziehen (OLG Hamm NZV 2001, 436 = DAR 2001, 519; VRR 2006, 351 = NZV 2007, 100; s. auch Krumm NJW 2007, 257, 259; zur Berücksichtigung der [schlechten] wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bei Bemessung/Erhöhung der Geldbuße s. OLG Jena zfs 2007, 412).
b) Allgemeine Gründe
Nach weitgehend übereinstimmender obergerichtlicher Rechtsprechung zur Erforderlichkeit sind folgende Kriterien – sowohl jedes für sich allein als auch beim Zusammentreffen mehrerer – als nicht ausreichend für ein Absehen vom Fahrverbot angesehen worden (s. auch Deutscher NZV 1997, 26; OLG Hamm NZV 2003, 103 = VRS 104, 233): Der Betroffene ist Ersttäter bzw. weist auch bei langer Fahrpraxis keine Eintragung im Fahr...