Gefahr für den Bestand der Beiordnung geht jedoch nicht nur von den Gerichten aus, sondern in zunehmendem Maße auch von anderen Rechtsanwälten. Insbesondere in Verfahren, die wegen ihrer Bedeutung und/oder ihres Umfangs attraktiv erscheinen, müssen Pflichtverteidiger vermehrt mit Versuchen rechnen, aus dem Mandant herausgedrängt zu werden.
a) Entpflichtung gem. § 143 StPO
Dabei wird häufig dergestalt vorgegangen, dass sich zunächst ein neuer Rechtsanwalt als Wahlverteidiger legitimiert und zugleich die Entpflichtung des bisherigen Verteidigers gem. § 143 StPO beantragt. Nachdem diese erfolgt ist, wird das Wahlmandat niedergelegt und die eigene Beiordnung beantragt.
Derartige Versuche lassen sich jedoch unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung recht gut abwehren. So betonen die Obergerichte, dass die Beiordnung des Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger in aller Regel dann nicht in Betracht kommt, wenn er zuvor durch die Übernahme des Wahlmandats die Entpflichtung des Pflichtverteidigers gem. § 143 StPO bewirkt und diesen so aus seiner Verteidigerstellung verdrängt hat. Stattdessen ist regelmäßig wieder der frühere Pflichtverteidiger zu bestellen (OLG Stuttgart StV 2016, 142; KG NStZ 2017, 64).
Darüber hinaus hat die Rechtsprechung auch auf den hin und wieder zu beobachtenden Versuch, die Verdrängungsabsicht etwas weniger offensichtlich zutage treten zu lassen bzw. diese zu verschleiern, indem der "eigene" Beiordnungsantrag erst eine gewisse Zeit nach der Entpflichtung des bisherigen Verteidigers gestellt wird, reagiert und klargestellt, dass es grundsätzlich nicht darauf ankomme, ob der Wahlverteidiger seinen eigenen Beiordnungsantrag in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Entpflichtung oder mit Verzögerung stellt (KG a.a.O.).
Hinweis:
In Ausnahmefällen, etwa wenn der Angeklagte im Laufe eines längeren Verfahrens unvorhergesehen mittellos wird und der ehemalige Pflichtverteidiger aufgrund des fortgeschrittenen Verfahrensstadiums die Verteidigung nicht erneut übernehmen kann, wird allerdings eine Bestellung des bisherigen Wahlverteidigers in Betracht zu ziehen sein. Der Vorwurf des Verdrängens geht bei zuvor nicht absehbaren, nachträglich eingetretenen Umständen fehl. Das KG hat diese Frage in der vorgenannten Entscheidung allerdings mangels Entscheidungsrelevanz jedoch offen gelassen.
b) Vermeintlicher Vertrauensverlust
Dieser Kurs der Gerichte erschwert eine Verdrängung des bisherigen Pflichtverteidigers über § 143 StPO zunehmend. Wohl als Reaktion hierauf wurde eine weitere Verdrängungsmethode entwickelt: Anstatt über § 143 StPO auf eine Entpflichtung des bisherigen Verteidigers hinzuwirken, wird unmittelbar die Umbeiordnung beantragt und zur Begründung vorgetragen, der Angeklagte habe zu seinem bisherigen Verteidiger kein Vertrauen mehr.
Die Gründe hierfür erweisen sich oftmals als vorgeschoben, und entsprechend dünn sind dann die Ausführungen hierzu. Dies kann der zu Unrecht angegangene Pflichtverteidiger zur Abwehr solcher Angriffe nutzen: Die Rechtsprechung stellt hohe Darlegungsanforderungen, wenn eine Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses geltend gemacht werden soll. Die entsprechende Behauptung muss mit konkreten Tatsachen belegt werden; allgemeine, floskelhafte Unzufriedenheitsbekundungen genügen für eine Entpflichtung ebenso wenig wie unterschiedliche Auffassungen über die Verteidigungsstrategie. Bei unsubstantiierten Entpflichtungsanträgen, mit denen lediglich pauschale Vorwürfe erhoben werden, kann der Angeklagte auch keinen (zweiten) Pflichtverteidiger für das "Entpflichtungsverfahren", etwa für eine Beschwerde gegen die Ablehnung des Entpflichtungsantrags, verlangen (OLG Hamburg, Beschl. v. 29.2.2016 – 2 Ws 28/16).
Hinweis:
Bei der Beurteilung, ob das Vertrauensverhältnis endgültig und nachhaltig erschüttert ist, kommt es nicht auf das subjektive Empfinden des jeweiligen Mandanten an. Maßgeblich ist vielmehr der Standpunkt eines vernünftigen und verständigen Angeklagten (KG StRR 2/2018, 9).
Zu beachten ist auch, dass der Verteidiger rechtskundiger Beistand des Angeklagten ist und nicht dessen Vertreter. Er hat sich allseitig unabhängig zu halten und, wo er durch Anträge oder in sonstiger Weise in das Verfahren eingreift, dies in eigener Verantwortung und frei von Weisungen des Angeklagten zu tun. Auch liegt eine Pflichtverletzung nicht bereits dadurch vor, dass der Pflichtverteidiger für den Beschuldigten nicht durchgängig erreichbar ist (KG a.a.O. m.w.N.).
Hinweis:
Sind die Gründe für den Vertrauensverlust aber schlüssig dargetan (einen vollen Beweis muss der Angeklagte nicht führen), kann auch der Wahlverteidiger beigeordnet werden (OLG Stuttgart StV 2016, 142).