Die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an eine Entpflichtung des bestellten Verteidigers sind hoch. Besitzt der Pflichtverteidiger das Vertrauen des Angeklagten, berührt eine Rücknahme der Beiordnung dessen Verteidigungsbelange auf das Stärkste und kommt deshalb nur in Betracht, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung ernsthaft gefährden (BGH NJW 2016, 884).
Demgegenüber sinken die Voraussetzungen für die Rücknahme der Bestellung bei einem Fehlverhalten des Verteidigers. Hier kann es nicht nur zulässig, sondern sogar geboten sein, dass das Gericht einschreitet und eine sachgerechte Verteidigung sicherstellt. So verlangt Art. 6 Abs. 3c MRK nach Auffassung des EGMR und des BGH bei nicht ordnungsgemäßer Verteidigung (auch ohne anwaltliches Verschulden, etwa bei Erkrankung) positive Maßnahmen seitens der zuständigen Behörden, um diesem Zustand abzuhelfen (BGH, Beschl v. 5.6.2018 – 4 StR 138/18 m.w.N.).
Der bestellte Pflichtverteidiger hat die Verteidigung ordnungsgemäß und mit dem gebotenen Engagement zu führen. Diese Verpflichtung trifft ihn nicht erst in der Hauptverhandlung, sondern unmittelbar ab dem Moment der Beiordnung. Verstößt der Verteidiger hiergegen, indem er den inhaftierten Beschuldigten über Monate hinweg nicht in der JVA besucht, um die Verteidigungsstrategie zu erörtern, rechtfertigt dies den Widerruf der Beiordnung (AG Köln StV 2016, 491; LG Ingolstadt StRR 9/2017, 2).
Hinweis:
Weigert sich der Vorsitzende trotz eines offensichtlichen Fehlverhaltens, die gebotene Entpflichtung vorzunehmen, begründet dies die Besorgnis der Befangenheit (AG Köln StV 2016, 491).
Darüber hinaus hat der Pflichtverteidiger aufgrund ihrer überragenden Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens regelmäßig an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Tut er dies in einem Umfangsverfahren nicht, ist eine ordnungsgemäße Verteidigung konkret in einer derart schwerwiegenden Weise gefährdet, dass die Rücknahme der Bestellung gerechtfertigt ist (OLG Stuttgart NStZ 2016, 436).
Hinweis:
Im Falle einer Verhinderung an einzelnen Verhandlungstagen ist jedoch eine Vertretung des anderweitig terminlich gebundenen Pflichtverteidigers durch einen anderen Pflichtverteidiger grundsätzlich zulässig, sofern eine ordnungsgemäße Verteidigung durch den Vertreter gewährleistet ist. Dies erfordert entweder eine umfassende Aktenkenntnis (die insbesondere bei größeren Verfahren kaum einmal vorhanden sein dürfte) oder einen überschaubaren Verhandlungsstoff an jenem Verhandlungstag (LG Dessau-Roßlau StV 2016, 488).