Ist die begehrte Beiordnung erfolgt, gilt diese bis zur Rechtskraft des Urteils (Burhoff, EV, Rn 3009, 8. Aufl. Rn 3026). Sie kann grundsätzlich nicht zurückgenommen werden, weil sich im Nachhinein die Einschätzung des Gerichts zu der Frage, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, ändert (LG Bonn StraFo 2016, 295). Dies gilt auch für das Berufungsgericht (KG StV 2017, 154).
Hinweis:
Zudem kann ein – für das Gericht bindender – Beiordnungsantrag der Staatsanwaltschaft gem. § 141 Abs. 3 StPO nicht zurückgenommen werden (LG Münster StV 2016, 157; LG Verden StraFo 2017, 279).
Allerdings riskiert der Rechtsanwalt den Fortbestand der Bestellung, wenn er die Verteidigung nicht ordnungsgemäß führt, was leider hin und wieder vorkommt und belegt, dass der schlechte Ruf der Pflichtverteidigung (hierzu Burhoff, EV, Rn 2763, 8. Aufl. Rn 2780) nicht nur der Justiz, sondern auch einem kleinen Teil der Anwaltschaft geschuldet ist.
Es können jedoch bei Weitem nicht nur pflichtvergessene Anwälte, sondern auch völlig ordnungsgemäß agierende Verteidiger plötzlich mit der Frage einer Entpflichtung konfrontiert werden, sei es durch Versuche der Gerichte, einen missliebigen Pflichtverteidiger "loszuwerden", sei es durch konkurrierende Rechtsanwälte, die in das Mandat hineindrängen. Im Einzelnen:
1. Entpflichtung
a) Fehlverhalten/Untätigkeit des Verteidigers
Die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an eine Entpflichtung des bestellten Verteidigers sind hoch. Besitzt der Pflichtverteidiger das Vertrauen des Angeklagten, berührt eine Rücknahme der Beiordnung dessen Verteidigungsbelange auf das Stärkste und kommt deshalb nur in Betracht, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung ernsthaft gefährden (BGH NJW 2016, 884).
Demgegenüber sinken die Voraussetzungen für die Rücknahme der Bestellung bei einem Fehlverhalten des Verteidigers. Hier kann es nicht nur zulässig, sondern sogar geboten sein, dass das Gericht einschreitet und eine sachgerechte Verteidigung sicherstellt. So verlangt Art. 6 Abs. 3c MRK nach Auffassung des EGMR und des BGH bei nicht ordnungsgemäßer Verteidigung (auch ohne anwaltliches Verschulden, etwa bei Erkrankung) positive Maßnahmen seitens der zuständigen Behörden, um diesem Zustand abzuhelfen (BGH, Beschl v. 5.6.2018 – 4 StR 138/18 m.w.N.).
Der bestellte Pflichtverteidiger hat die Verteidigung ordnungsgemäß und mit dem gebotenen Engagement zu führen. Diese Verpflichtung trifft ihn nicht erst in der Hauptverhandlung, sondern unmittelbar ab dem Moment der Beiordnung. Verstößt der Verteidiger hiergegen, indem er den inhaftierten Beschuldigten über Monate hinweg nicht in der JVA besucht, um die Verteidigungsstrategie zu erörtern, rechtfertigt dies den Widerruf der Beiordnung (AG Köln StV 2016, 491; LG Ingolstadt StRR 9/2017, 2).
Hinweis:
Weigert sich der Vorsitzende trotz eines offensichtlichen Fehlverhaltens, die gebotene Entpflichtung vorzunehmen, begründet dies die Besorgnis der Befangenheit (AG Köln StV 2016, 491).
Darüber hinaus hat der Pflichtverteidiger aufgrund ihrer überragenden Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens regelmäßig an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Tut er dies in einem Umfangsverfahren nicht, ist eine ordnungsgemäße Verteidigung konkret in einer derart schwerwiegenden Weise gefährdet, dass die Rücknahme der Bestellung gerechtfertigt ist (OLG Stuttgart NStZ 2016, 436).
Hinweis:
Im Falle einer Verhinderung an einzelnen Verhandlungstagen ist jedoch eine Vertretung des anderweitig terminlich gebundenen Pflichtverteidigers durch einen anderen Pflichtverteidiger grundsätzlich zulässig, sofern eine ordnungsgemäße Verteidigung durch den Vertreter gewährleistet ist. Dies erfordert entweder eine umfassende Aktenkenntnis (die insbesondere bei größeren Verfahren kaum einmal vorhanden sein dürfte) oder einen überschaubaren Verhandlungsstoff an jenem Verhandlungstag (LG Dessau-Roßlau StV 2016, 488).
b) Fehler im Beiordnungsverfahren
Im Einzelfall können aber auch Fehler des Gerichts im Rahmen des Beiordnungsverfahrens zur Entpflichtung führen. Wird der Beschuldigte vor der Bestellung entgegen § 142 Abs. 1 S. 2 StPO, der regelmäßig eine Pflicht zur Anhörung begründet, nicht ordnungsgemäß angehört, ist der dennoch beigeordnete Verteidiger auf Antrag auch dann zu entpflichten und ein vom Beschuldigten benannter Anwalt beizuordnen, wenn Anhaltspunkte für eine Störung des Vertrauensverhältnisses nicht dargelegt werden (OLG Koblenz StV 2016, 512). Dies gilt nicht nur, wenn eine Anhörung komplett unterbleibt, sondern auch dann, wenn die dem Beschuldigten gesetzte Frist zur Benennung eines Verteidigers zu kurz bemessen wird (LG Siegen StRR 2015, 465).
Bei der Bemessung der Frist ist darauf zu achten, dass dem Beschuldigten genügend Zeit bleibt, um sich auf dem immer größer und unüberschaubarer werdenden Anwaltsmarkt zu orientieren und einen Besprechungstermin zu vereinbaren. Erst nach einem persönlichen Kontakt kann der Beschuldigte absehen, ob das für eine ordnungsgemäße Strafverteidigung unabdingbare Vertrauen zu dem ausgewählten Rechtsanwalt vorhanden ist oder ob er nach ...