Liegen die Voraussetzungen für die Bestellung eines Pflichtverteidigers vor, ist diese möglichst frühzeitig vorzunehmen (Burhoff, EV, Rn 3042, 8. Aufl. Rn 3059). Hierauf muss der Verteidiger achten und erforderlichenfalls darauf hinwirken, dass das Gericht dieser Verpflichtung auch tatsächlich nachkommt.
Dies ist nämlich nicht immer der Fall. Insbesondere in Verfahren, in denen im Hinblick auf anderweitige Tatvorwürfe eine Einstellung gem. § 154 Abs. 2 StPO in Betracht kommt, werden Anträge immer wieder gern liegen gelassen, um eine Beiordnung dann mit oder gar nach der Einstellung des Verfahrens abzulehnen, da ein Fall der notwendigen Verteidigung nicht (mehr) vorliege. Dahinter steckt regelmäßig der Gedanke, dass die Verteidigerbestellung überflüssig sei, da dem Angeklagten im Falle einer Einstellung ja kein Unheil drohe. Dies ist freilich schon deshalb falsch, weil eine solche Vorgehensweise dem Grundsatz, wonach die Verteidigerbestellung so früh wie möglich vorzunehmen ist, evident widerspricht. Es ist – auch bei einem nicht inhaftierten Beschuldigten – nicht zulässig, dem Verfahren erst Fortgang zu geben und dann am Ende über den Beiordnungsantrag zu entscheiden (LG Mühlhausen, Beschl. v. 1.12.2017 – 3 Qs 205/17, StRR 3/2018, 21). Überdies kann sich die Erforderlichkeit der Mitwirkung eines Verteidigers auch daraus ergeben, dass es die überwiegende Rechtsprechung nach wie vor für grundsätzlich zulässig hält, auch Taten, derentwegen das Verfahren gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, bei der Aburteilung der anderen Delikte im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend zu berücksichtigen.
Praxishinweis:
Bleibt das Gericht untätig, kann es sich empfehlen, hiergegen mit dem Rechtsmittel der Beschwerde vorzugehen, auch wenn die StPO eine reine Untätigkeitsbeschwerde nicht kennt. Wird nämlich eine von Amts wegen gebotene oder auf Antrag zu treffende Entscheidung, die ihrerseits selbst anfechtbar wäre, unterlassen und kommt dies nicht lediglich einer Verfahrensverzögerung, sondern einer endgültigen Ablehnung gleich, ist dies anfechtbar (LG Dresden StV 2017, 174 für eine unterlassene Beiordnungsentscheidung, wenn ein nur 16 Tage später stattfindender Hauptverhandlungstermin anberaumt wird).
Wird die Nicht-Verbescheidung des Antrags dagegen hingenommen, drohen später nicht unerhebliche Schwierigkeiten, nachdem die überwiegende Rechtsprechung weiterhin davon ausgeht, dass eine rückwirkende Verteidigerbestellung unzulässig sei. Der Zweck der Pflichtverteidigung, dem Angeklagten einen rechtskundigen Beistand und einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu sichern, könne dann nicht mehr erreicht werden (OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.2.2015 – 1 ARs 1/15, ZAP EN-Nr. 325/2015; LG Halle/Saale, Beschl. v. 31.7.2015 – 3 Qs 151/15, StRR 2015, 389; weitere Nachweise bei Burhoff, EV, Rn 3044, 8. Aufl. Rn 3061). Die Gegenauffassung (u.a. LG Trier StRR 2015, 389; LG Mühlhausen, Beschl. v. 1.12.2017 – 3 Qs 205/17, StRR 3/2018, 21) hat sich bislang jedenfalls nicht auf breiter Linie durchzusetzen vermocht.
Hinweis:
Lässt das Gericht die Mitwirkung des Verteidigers ohne Hinweis auf ein eigenes Kostenrisiko zu, ist jedoch eine schlüssige Beiordnung zum Zeitpunkt der Antragstellung anzunehmen (BGH NStZ-RR 2009, 348; OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.2.2015 – 1 ARs 1/15, ZAP En-Nr. 325/2015). Eine solche konkludente Beiordnung kann auch nachträglich festgestellt werden, so dass das Fehlen einer ausdrücklichen Beiordnung die Abrechnung der entstandenen Pflichtverteidigergebühren nicht hindert (BGH a.a.O.). Von einer konkludenten Bestellung wird man ausgehen können, wenn das Gericht mit dem Verteidiger Schriftwechsel führt, Stellungnahmen von ihm einholt oder ihm Terminsladungen zustellt.