Im Bereich der Strafvollstreckung ist, was die Bestellung von Pflichtverteidigern betrifft, in den letzten Jahren alles beim Alten geblieben (zur Beiordnung im Vollstreckungsverfahren Burhoff, EV, Rn 2812, 8. Aufl. Rn 2829). Der Gesetzgeber hält eine speziell auf das Vollstreckungsverfahren zugeschnittene gesetzliche Regelung nach wie vor für entbehrlich, so dass weiterhin § 140 Abs. 2 StPO analog angewendet werden muss. Ebenso unverändert ist der restriktive Kurs der Rechtsprechung, wonach eine Beiordnung regelmäßig nur in Ausnahmekonstellationen von besonderem Gewicht oder besonderer Komplexität in Betracht kommt, etwa bei Fragen der Überprüfung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, bei komplexen Strafzeitberechnungen, Vollstreckungshilfeverfahren oder rechtlich oder tatsächlich schwierigen oder folgenreichen Konstellationen (OLG Stuttgart StV 2018, 379).
Hinweis:
Im Verfahren über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung (hierzu Hillenbrand, in: Burhoff/Kotz, Handbuch für die strafrechtliche Nachsorge, Teil A Rn 371) liegt eine solche Ausnahmekonstellation nicht schon dann vor, wenn der Verurteilte im Falle des Widerrufs eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder mehr zu verbüßen hätte (ganz h.M.). Die vereinzelt vertretene Gegenansicht (LG Paderborn, Beschl. v. 28.10.2016 – 1 Qs 125/16) verkennt, dass im Widerrufsverfahren – im Gegensatz zum Erkenntnisverfahren – die Höhe der Strafe bereits rechtskräftig feststeht und die Gefahr, dass der Verurteilte durch einen schwerwiegenden Rechtsfolgenausspruch überrascht wird, nicht mehr besteht (OLG Stuttgart a.a.O.).
Dagegen kann ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegen, wenn
- der Verurteilte nur über eingeschränkte Sprachkenntnisse verfügt und sich deshalb nicht eingehend mit einem vom Gericht im Vollstreckungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten auseinandersetzen kann (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 18.8.2016 – 1 Ws 198/16);
- das Verfahren bislang derart (verfahrens-)fehlerhaft bearbeitet wurde, dass das zuständige Beschwerdegericht bereits zwei erstinstanzliche Entscheidungen aufheben musste (OLG Köln StV 2017, 157);
- die Strafvollstreckungskammer im Verfahren über eine Reststrafenaussetzung gem. § 57 StGB aufgrund des Ergebnisses eines Sachverständigengutachtens erwägt, abweichend von der Stellungnahme der JVA zu entscheiden (OLG Stuttgart StraFo 2016, 216);
- im Reststrafenaussetzungsverfahren eine bislang nicht aktenkundige, langjährige dissozial-narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert wurde (OLG Hamburg StV 2018, 143) oder
- der Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft auf eine erhobene Anklage und zwei laufende Ermittlungsverfahren abstellt, ohne dass die Taten bereits abgeurteilt oder zumindest glaubhaft gestanden sind (LG Paderborn StRR 3/2017, 15).
Sind derartige einzelfallbezogene Besonderheiten dagegen nicht ersichtlich, scheidet eine Beiordnung im Vollstreckungsverfahren in aller Regel aus.
Praxishinweis:
Nach wie vor unterschiedlich beantwortet wird die Frage, ob eine einmal erfolgte Beiordnung für das gesamte Vollstreckungsverfahren gilt oder lediglich für den jeweiligen Verfahrensabschnitt. Einige Gerichte verlangen weiterhin eine erneute Beiordnung für jeden Abschnitt (so zuletzt OLG Koblenz StV 2016, 512), so dass eine solche vorsorglich jeweils beantragt werden sollte, zumindest sofern es im betroffenen Gerichtsbezirk insoweit keine gefestigte einheitliche Rechtsprechung gibt.