1. Maßnahmen bei Kindeswohlgefährdung
Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht gem. § 1666 Abs. 1 BGB die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind. Das Familiengericht prüft zunächst, ob ein Tatbestand gegeben ist, der ein Einschreiten fordert, und wählt dann, aus der Vielzahl der in § 1666 BGB exemplarisch aufgezählten Maßnahmen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die geeigneten aus.
a) Verbleibensanordnung bei Verurteilung des Pflegevaters wegen sexueller Gewalt
Das BVerfG (FamRZ 2021, 672 m. Anm. Hammer) hat in einem Fall einer möglichen Kindesgefährdung durch sexuellen Missbrauch erneut die Voraussetzungen für einen staatlichen Eingriff und die Grundsätze für den Umfang der erforderlichen Ermittlungen aufgeführt.
Das Kind hat gem. Art. 2 Abs. 1 u. 2 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG einen Anspruch auf Schutz des Staates, wenn die Eltern oder Pflegeeltern ihrer Pflege- und Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden. Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder sich eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Wenn das Gericht der Einschätzung der Sachverständigen oder der beteiligten Fachkräfte nicht folgt, bedarf eine davon abweichende Beurteilung des Gerichts einer anderweitigen verlässlichen Grundlage und einer eingehenden Begründung.
b) Fremdunterbringung
- Das BVerfG (FamRZ 2021, 749 m. Anm. Hammer) betont erneut, dass sich bei einer auf § 1666 BGB gestützten Trennung des Kindes von seinen Eltern für die Fachgerichte aus Art. 6 Abs. 2 u. 3 GG das Gebot ergibt, die dem Kind drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret zu benennen. Ein Sorgerechtsentzug ist grds. entbehrlich, wenn der erziehungsberechtigte Elternteil die zur Abwendung einer dem Kind drohenden Gefahr gebotenen Mitwirkungshandlung vornimmt oder vorzunehmen bereit ist.
In einem vom KG entschiedenen Fall mit der Anordnung einer Fremdunterbringung hat das BVerfG (FamRZ 2021, 104 m. Anm. Hammer) die Verletzung des in 6 Abs. 2 S. 1 GG normierten Elternrechts gerügt und in einer ausführlichen Zusammenfassung die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Trennung eines Kindes von den Eltern aufgeführt:
Bei der Prognose, ob eine erhebliche Gefährdung mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen ist, muss die drohende Schwere der Beeinträchtigung des Kindes berücksichtigt werden.
Die negativen Folgen einer Fremdunterbringung müssen, durch eine hinreichend gewisse Aussicht auf Beseitigung der Gefahr aufgewogen werden, sodass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessert.
- Das BVerfG konstatiert: Nehmen Kind und Elternteil das Eltern-Kind-Verhältnis positiv wahr, ist die drohende psychosoziale Schädigung des Kindes, im Falle der Trennung, regelmäßig sehr groß, sodass nur schwerstwiegende Gefahren bei Verbleib des Kindes einen Eingriff rechtfertigen.
Hinweis:
Eine alleinige Bezugnahme auf rudimentär wiedergegebene Erkenntnisquellen entspricht nicht den strengen Anforderungen an die Trennung des Kindes von seinen Eltern.
c) Teilsorgerechtsentzug wegen Heimbeschulung
Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. BVerfG, FamRZ 2015, 27) und des BGH (vgl. BGH, FamRZ 2008, 45) ist die Schulplicht nicht allein durch die Vermittlung von Wissen begründet. Vielmehr erfüllt die Schule den staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag auch dadurch, dass Kinder bei der Entwicklung zu eigenverantwortlichen Personen innerhalb der Gesellschaft unterstützt und gefördert werden und so zu einem selbstverantwortlichen Mitglied der Gesellschaft heranwachsen können. Dabei können im Schulalltag soziale Kompetenzen im Umgang mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung effektiv eingeübt werden.
Das OLG Celle (FamRZ 2021, 427) folgt dieser Beurteilung und der Rechtsprechung des BGH, dass ein Missbrauch der elterlichen Sorge, der das Wohl des Kindes nachhaltig gefährdet und Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666a BGB erfordert, darin liegen kann, dass sich die Eltern beharrlich weigern, ihre Kinder der öffentlichen Grundschule oder einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen, um ihnen stattdessen selbst „Hausunterricht” zu erteilen.
Zwar kann im Falle einer Schulverweigerung wegen homeschooling nicht automatisch eine Kindeswohlgefährdung angenommen werden, sondern es sind alle wesentlichen Aspekte des konkreten Einzelfalles zu ermitteln und im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu bewerten. Für eine Kindeswohlgefährdung spricht etwa, wenn die Kinder ein auffälliges Verhalten im Kontakt mit anderen Personen zeigen und außerhalb der Kernfamilie keine Freundschaften pflegen. Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist es dann gerechtfertigt, einen Teilsorgeentzug anzuordnen und einen Ergänzungspfleger, zur Durchsuchung und Erzwingung der Herausgabe der Kinder sowie zur Durchsetzung des Schulbesuchs zu ermächtigen.
d) Vollmachtserteilung statt Sorgerechtsübertragung
Im Anschlus...