Auch mit dieser jüngsten Entscheidung des BGH zum Grenzüberbau durch Wärmedämmung ist damit der einschlägige "themenbezogene nachbarrechtliche Bauplan" wie folgt zu beschreiben:
1. Grundsatz
Das Bundesrecht legt in § 912 ff. BGB die Grundsätze zu den Rechtsfolgen eines Überbaus fest und unterscheidet dabei zwischen folgenden Konstellationen, namentlich einem
- rechtswidrigen entschuldigten Grenzüberbau,
- rechtswidrigen unentschuldigten Grenzüberbau,
- rechtmäßigem Überbau und
- Eigengrenzüberbau (dazu ausführlich Horst, Rechtshandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl. 2006, S. 446 ff. Rn 1437 ff.)
2. Ausnahme 1: Geringfügige Beeinträchtigung
Viele Landesnachbarrechtsgesetze und Landesbauordnungen sehen für bestehende Gebäude an der Grenze die Möglichkeit vor, mit einer nachträglich aufgebrachten Wärmedämmung über die Grenze bis in das Nachbargrundstück überzubauen, wenn der Nachbar dadurch nicht oder nur sehr geringfügig beeinträchtigt wird.
Die Motivlage dabei ist klar: Energetische Optimierungen von Gebäuden zur Verfolgung des Klimaschutzes sollen vorangetrieben werden und an geschaffenen Bausituationen möglichst nicht scheitern. Das ist der logische Grund dafür, solche Überbaumöglichkeiten auf bestehende Gebäude an der Grenze zu beschränken. Obgleich sie das vorgestellte Bundesrecht in dem speziell geregelten Fall einer grenzüberschreitenden Wärmedämmung modifizieren, sind solche landesrechtlichen Vorschriften zulässig und formell verfassungsgemäß (Art. 124 EGBGB i.V.m. Art. 1 Abs. 2 EGBGB; so ausdrücklich: BGH, Urt. v. 23.6.2022 – V ZR 23/21, ZAP EN-Nr. 512/2022; BGH, Urt. v. 12.11.2021 – V ZR 115/20, ZAP EN-Nr. 46/2022).
Unter Berücksichtigung des Verfassungsrangs des Klimaschutzes, dem eine energetische Gebäudemodernisierung Rechnung tragen soll, ergeben sich auch keine Bedenken im Hinblick auf die materielle Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschriften, sofern tatbestandlich als Voraussetzung einer Duldungsverpflichtung auch die Auswirkungen auf das Nachbareigentum mitberücksichtigt werden.
3. Ausnahme 2: Beeinträchtigungen des Nachbareigentums
Ob dies auch unter reinen Klimaschutzaspekten ohne tatbestandliche Würdigung von Beeinträchtigungen des Nachbareigentums anzunehmen ist, bleibt einstweilen weiterhin offen (so im Ergebnis: BGH, a.a.O.).
4. Ausnahme 3: Keine Duldungspflicht bei Neubauten
In jedem Fall bleibt eine grenzüberschreitende Wärmedämmung bei Neubauten auch nach dem Landesnachbarrecht zur Duldungspflicht dieser Dämmmaßnahmen unzulässig. Um gebäudeenergetisch möglichst zu optimieren, haben es die Landesgesetzgeber von Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Bremen, Brandenburg, Berlin und Niedersachsen bei grenzständigen Mauern erlaubt, Wärmedämmungen an Grenzwänden eines Gebäudes auch in den Luftraum des Nachbargrundstücks hineinragend aufzubringen, wenn der Nachbar dadurch nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigt wird.
Maximal erlaubt sind 25 cm Überbau in den Luftraum des Nachbargrundstücks. Mit diesen Bestimmungen verfolgen die landeseigenen Gesetzgeber das Ziel, energetische Sanierungen von Altbauten zu erleichtern.
Soll aber ein Neubau bis an die Grundstücksgrenze gebaut werden, dann kann die von den baulichen Vorschriften her notwendige oder gewünschte Wärmedämmung von vornherein bei der Einmessung des Gebäudes berücksichtigt werden. Für Neubauten gelten landesrechtliche Duldungspflichten folglich nicht (vgl. BGH, Urt. v. 2.6.2017 – V ZR 196/16, NZM 2017, 855). Auch dies ist einsichtig, denn sie können von vornherein so geplant und als Gebäudekörper so eingemessen werden, dass die Nachbargrenze nicht verletzt wird.
Hinweis:
In dem gesetzgeberischen Kontext sind unter Neubauten alle die Gebäude zu verstehen, die nach dem Inkrafttreten der Vorschriften errichtet werden, die eine konkrete und bestimmte Wärmedämmung für das Gebäude vorschreiben. In einem solchen Fall hat der BGH den erhobenen Anspruch eines Hauseigentümers auf eine grenzüberschreitende Wärmedämmung zurückgewiesen. Der Nachbar – eine Wohnungseigentümergemeinschaft – hatte gegen eine Dämmung der Grenzwand des Nachbargebäudes durch Putzschicht mit Anstrich in der Stärke von 5 mm geklagt – erfolgreich. Sie muss also nach Auffassung des BGH eine solche Dämmung eines Neubaus, die 5 mm in ihr Grundstück hineinreicht, nicht dulden.
5. Mischfälle
Das LG Köln hatte einen Mischfall zu entscheiden, in dem ein neu errichteter Anbau an einem bestehenden Gebäude an der Grenze gemeinsam mit diesem mit einer Wärmedämmung zulasten des Nachbargrundstücks versehen worden ist. In seinem Urteil vom 21.9.2018 (22 O 452/15, IMR 2019, 336) kommt das LG Köln zu dem Schluss, dass die privilegierende Regelung für den neu errichteten Anbau nicht greifen kann; auch dann nicht, wenn die Wärmedämmung ohne Absatz in der Wand gleichzeitig auch ein bestehendes Gebäude an der Grenze verkleiden soll. Der Nachbar hatte auf Entfernung der gesamten Wärmedämmung sowohl im Bereich des neu errichteten Anbaus als auch im Bereich des bereits bestehenden Gebäudes an der Grenze geklagt – aus § 912 BGB i.V.m. § 23a Abs. 1 NachbG-NW – mit Erfolg (vgl. insgesamt zu nachbarlichen Duldungspflichten: Horst, Grenzüberbau durch Wärmedämmung, NJW 2010, 122 ff.).