Praktische Relevanz haben die Klagearten bei der Frage, welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich ist (s. hierzu ausführlich M-L/K/L/S/Keller, SGG, § 54 Rn 32 ff.).
Bei der Anfechtungsklage kommt es grds.
– allerdings lediglich im Sinne einer „Faustregel”, letztlich maßgeblich ist das einschlägige materielle Recht, nach dessen Auslegung ggf. auch auf einen anderen Zeitpunkt abzustellen ist (s. M-L/K/L/S/Keller, SGG, Rn 33 m.w.N.) –
auf die Sach- und Rechtslage bei Erlass des VA bzw. des Widerspruchsbescheids, wenn ein solcher ergangen ist, an. Unbeachtlich ist regelmäßig eine spätere Änderung der Sach- und Rechtslage.
Auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts, bei Entscheidung ohne mündliche Verhandlung auf den Zeitpunkt der Entscheidung, ist abzustellen, wenn sich die Klage gegen einen belastenden VA mit Dauerwirkung richtet (M-L/K/L/S/Keller, SGG, § 54 Rn 33a), ebenso bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen und bei Verpflichtungsklagen über Ermessensentscheidungen, Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum und Prognoseentscheidungen (M-L/K/L/S/Keller, SGG, Rn 34, 34a).
Hinweis:
Soweit bei reinen Anfechtungsklagen grds. zur Beurteilung der Rechtslage auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen ist, stellt sich die Frage des Umfangs und der Reichweite des Untersuchungsgrundsatzes, wonach das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen hat (§ 103; s. hierzu unten VI.). Nach zutreffender Ansicht sind die Gerichte im Rahmen einer Anfechtungsklage nur verpflichtet, die Entscheidung der Behörde zu überprüfen, nicht aber, die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen VA erst zu schaffen (BSG, Urt. v. 25.6.2015 – B 14 AS 30/14 R, NJW 2016, 974: unterlassene Ermittlungen des Jobcenters im Hinblick auf das zu berücksichtigende Einkommen des Klägers als Voraussetzung für einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X, hierzu Hengelhaupt, juris PR-SozR 11/2016 Anm. 6; ferner SG Nürnberg, Urt. v. 8.7.2021 – S 22 AL 167/21, info also 2021, 71: fehlende Feststellungen der Agentur für Arbeit im Hinblick auf einen erlassenen Sperrzeitbescheid, hierzu Lehmann, info also 2022, 66). Ein weiteres Beispiel aus dem Schwerbehindertenrecht: Fehlen bei einer Anfechtungsklage gegen die Herabsetzung des Grad der Behinderung wegen Änderung der Verhältnisse (§ 48 SGB X) die hierfür erforderlichen medizinischen Anknüpfungstatsachen, die den Gesundheitszustand der Betroffenen zum Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids dokumentieren oder liegt dieser Zeitpunkt soweit in der Vergangenheit, dass ein Erkenntnisgewinn durch medizinische Sachverständigengutachten nunmehr ausgeschlossen erscheint, so wird die Klage Erfolg haben (s. etwa LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 28.3.2019 – L 13 SB 101/16, hierzu Lehmann, ASR 2020, 165 ff.).