1. Elterliche Sorge
a) Allgemeines
Mit einer ausführlichen Abhandlung zum Sorgerecht (ZAP F. 11, S. 1313–1330) gibt Viefhues einen praxisnahen und aktuellen Überblick mit zahlreichen Praxishinweisen und Beispielen für den Praktiker.
b) Übertragung der Alleinsorge (§ 1671 BGB)
Eine dem Kindeswohl entsprechende gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt ein Mindestmaß an Übereinstimmung in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und insgesamt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus (vgl. BGH FamRZ 2004, 354).
Unter Anerkennung dieses Grundsatzes hat das OLG Rostock (FamRZ 2015, 339) in einem Einzelfall, in dem zwar zwischen den Eltern aktuell keine optimale tragfähige soziale Beziehung bestand, die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge abgelehnt, weil in einem gewissen Umfang noch eine soziale Basis vorhanden war und weil die Eltern verpflichtet sind, diese weiter auszubauen und es ihnen in der Vergangenheit auch gelungen war, über das Kind betreffende Fragen zu kommunizieren.
Das KG (FamRZ 2015, 765) hebt hervor, dass Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft unabdingbare Voraussetzung für ein elterliches Zusammenwirken in der Wahrnehmung der Verantwortung für die Kinder sind. Sind die Eltern durchgreifend zerstritten, sind bei der Prüfung, wem das Alleinsorgerecht zu übertragen ist, vor allem Erziehungseignung, Bindungen des Kindes, Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie der Kindeswille die im Rahmen des Kindeswohls zu berücksichtigenden Gesichtspunkte.
Hinweis:
Die einzelnen Kriterien stehen aber nicht als Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (vgl. BGH FamRZ 2010, 1060).
In allen Sorgerechtsverfahren – auch im Abänderungsverfahren nach § 1696 Abs. 1 BGB – ist der Wille des Kindes zu beachten, soweit dies mit seinem Wohl vereinbar ist (BVerfG 2015, 210). Dem Interesse des Kindes an der Stabilität seiner Lebensverhältnisse ist eine besondere Bedeutung zuzumessen. Der aktuell geäußerte Wille eines sechsjährigen Kindes nach einem Wechsel zum anderen Elternteil kann aber unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität unbeachtlich sein, insbesondere wenn es sich in einem gravierenden Loyalitätskonflikt befindet.
c) Negative Kindeswohlprüfung
Nach § 1626a Abs. 1 Nr. 3 BGB steht nicht verheirateten Eltern eines Kindes die gemeinschaftliche elterliche Sorge zu, soweit ihnen das Familiengericht die elterliche Sorge gemeinsam überträgt. Die Übertragung erfolgt auf Antrag, wenn sie dem Kindeswohl nicht widerspricht (§ 1626a Abs. 2 S. 1 BGB). Letzteres wird grundsätzlich vermutet, wenn der andere Elternteil keine Gründe vorträgt, die der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge entgegenstehen können und falls solche auch nicht ersichtlich sind (§ 1626a Abs. 2 S. 2 BGB).
Gleichwohl sieht das OLG Stuttgart (11. ZS – FamRZ 2015, 674 = NJW 2015, 642) darin keine gesetzliche Vermutung oder ein Leitbild (so aber OLG Stuttgart, 16. ZS – FamRZ 2014, 1715) dahingehend, dass die gemeinsame elterliche Sorge gegenüber der Alleinsorge vorzugswürdiger sei. Im Rahmen des § 1626a BGB könne auf die Prüfungskriterien des § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB zurückgegriffen werden.
Das OLG Brandenburg (FamRZ 2015, 760 = MDR 2015, 522 = NJW 2015, 964) und das OLG Naumburg (FamRZ 2015, 763) werten die Regelung dagegen als das gesetzlich umschriebene Leitbild der gemeinsamen elterlichen Sorge, die zur Geltung zu bringen sei, wenn Einwände ausbleiben oder nicht überzeugen. Einer positiven Feststellung der Kindeswohldienlichkeit und der dafür erforderlichen Tatsachen bedürfe es nicht.
Einigkeit besteht aber darüber dass die gemeinsame Ausübung des elterlichen Sorgerechts eine tragfähige Beziehung zwischen den Eltern voraus setzt, ausreichend aber ein Mindestmaß an Übereinstimmung ist. Die Zugangsvoraussetzungen sind daher nicht zu hoch anzusetzen. Kommunikationsstörungen zwischen den Eltern reichen nicht aus, die Vermutung zu widerlegen.
Hinweis:
Wenn das Kind durch Kommunikationsstörungen der Eltern belastet wird, müssen sich die Eltern nach dem Willen des Gesetzgebers um eine gelungene Kommunikation ggf. durch eine fachkundige Hilfe bemühen.
d) Entziehung
Gemäß § 1666 BGB setzt der Entzug der elterlichen Sorge voraus, dass das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Es muss sich hierbei um eine gegenwärtige Gefahr handeln, die die Schädigung mit ziemlicher Sicherheit vorhersagen lässt (vgl. BVerfG 2015, 112).
Das OLG Köln (FamRZ 2015, 675 = NJW 2015, 416) bejaht eine solche Gefährdung, wenn die Eltern sich beharrlich weigern, ihre schulpflichtigen Kinder der öffentlichen allgemeinen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen. Die Einhaltung der Schulpflicht diene nicht allein öffentlichen Interessen, sondern auch dem Kindeswohl, weil dem Kind durch den Schulbesuch das Erlernen bestimmter sozialer Kompetenzen, aber auch der Erwerb formaler Bildungsabschlüsse ermöglicht werde, von dem künftige...