1. Aufhebung bzw. Neufassung zentraler WpHG-Normen
Um der unmittelbaren Geltung der Marktmissbrauchsverordnung (s.o. I. 1. a) und der Notwendigkeit der Anpassung von Straftatbeständen zur Umsetzung der Marktmissbrauchsrichtlinie (s.o. I. 1. a) Rechnung zu tragen, wird das WpHG im Bereich Marktmissbrauch grundlegend novelliert. Abschnitt 3 erhält – anstelle von "Insiderüberwachung" – die Überschrift "Marktmissbrauchsüberwachung", da er die Überwachung und Verfolgung sowohl von Insidergeschäften als auch von Marktmanipulation umfasst. Der bisherige Abschnitt 3b (OTC-Derivate und Transaktionsregister) wird Abschnitt 4, der bisherige Abschnitt 4 (Überwachung des Verbots der Marktmanipulation) entfällt. Bisher zentrale Normen des Marktmanipulations- und Insiderrechts werden aufgehoben bzw. neugefasst.
Praktisch bedeutsam: § 15 WpHG erweitert in Absatz 1 (unter Beibehaltung der bestehenden Schadensersatzpflicht in Absatz 3) den Anwendungsbereich der Ad-hoc-Publizitätspflicht auf Emittenten, deren Finanzinstrumente nur – dies schließt den Freiverkehr ein – an einem multilateralen Handelssystem (MTF) gehandelt werden, und verpflichtet in Absatz 2 Inlands- und MTF-Emittenten, Informationen zu Eigengeschäften von Führungskräften dem Unternehmensregister i.S.d. § 8b HGB zur Speicherung zu übermitteln. Besonders zu beachten ist die Neustrukturierung der Strafvorschriften des § 38 WpHG mit verschärften Strafandrohungen. Die Norm wird flankiert durch die geänderten und ebenfalls deutlich verschärften Bußgeldbestimmungen des § 39 WpHG.
Praxishinweis:
Die Verschärfung der Sanktionen für Marktmissbrauch sollten sowohl für die Unternehmen der Finanzbranche als auch für ihre Rechtsberater Anlass sein, darauf hinzuwirken, dass die betroffenen Mitarbeiter sich des tatbestandlich inkriminierten Verhaltens und der Sanktionsfolgen hinreichend bewusst werden.
2. Ermittlungsbefugnisse, "Einfrieren" von Vermögenswerten
Hervorgehoben seien folgende – neue – Befugnisse der BaFin: Sie kann nach § 4 Abs. 3c WpHG, der an § 100g StPO angelehnt ist, von einem Telekommunikationsbetreiber die Herausgabe von in dessen Besitz befindlichen bereits existierenden Verkehrsdaten verlangen, wobei §§ 100a Abs. 3 und 100b Abs. 1–4 S. 1 StPO entsprechend gelten. Die Herausgabe unterliegt einem Richtervorbehalt. Praktisch bedeutet dies, dass die BaFin keine weitergehenden Befugnisse hat als die Staatanwaltschaft (Gesetzentwurf, a.a.O., S. 58). Von Wertpapierdienstleistungsunternehmen, Kredit- und Finanzinstituten kann die BaFin die Herausgabe bestimmter elektronischer Aufzeichnungen, u.a. von Telefongesprächen, verlangen (§ 4 Abs. 3d WpHG). Dies betrifft nur legal erstellte Telefon-Aufzeichnungen (näher Gesetzentwurf, a.a.O. S. 59). § 4 Abs. 4a WpHG regelt die Betretungsbefugnis von BaFin-Bediensteten in Bezug auf Geschäfts- und Wohnräume zwecks Sicherstellung von Dokumenten und Daten. § 4 Abs. 4b WpHG ermöglicht die Beschlagnahme von Vermögenswerten durch richterliche Anordnung (Zuständigkeit: AG Frankfurt/M.) auf Antrag der BaFin. Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Beschlagnahmebefugnis die Befugnis der vorläufigen Sicherung von Vermögenswerten ("Einfrieren") mit umfasst (Gesetzentwurf, a.a.O., S. 59).
3. Marktmanipulation
Der für die Rechtsanwendung schwierige – durch Doppel-Verweisungsketten (WpHG plus Marktmissbrauchsverordnung) geprägte – Tatbestand des § 38 Abs. 1 WpHG erfasst Marktmanipulation. In Nr. 1 und 2 des Tatbestands wird hinsichtlich der inkriminierten vorsätzlichen Handlungen auf die Bußgeldtatbestände des § 39 Abs. 2 Nr. 3 bzw. Abs. 3c WpHG und des § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG verwiesen. Diese nehmen ihrerseits Bezug auf Verbotstatbestände des Art. 15 i.V.m. Art. 12 Marktmissbrauchsverordnung. Exemplarisch sei die praktisch bedeutsame Regelung des § 38 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG herausgegriffen: Durch die Verweisung auf Art. 15 Marktmissbrauchsverordnung und damit implizit auf die Tatbestände des Art. 12 Marktmissbrauchsverordnung werden z.B. der Abschluss eines Geschäfts, die Erteilung eines Handelsauftrags und jede andere Handlung erfasst, die falsche oder irreführende Signale hinsichtlich des Angebots, der Nachfrage oder des Preises eines Finanzinstruments gibt (Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Marktmissbrauchsverordnung).
Durch die komplexe Tatbestandskonstruktion soll erreicht werden, dass "eine weitgehende Einheitlichkeit" zwischen den OWi-Tatbeständen, für die die Marktmissbrauchsverordnung unmittelbar gilt, "und den Straftatbeständen, die nach Richtlinie 2014/57/EU in nationales Recht umzusetzen sind, hergestellt wird" und bestimmte Regelungen zum Anwendungsbereich der Marktmissbrauchsverordnung und zu Ausnahmen für die Straftatbestände ebenfalls maßgebend sind (näher Gesetzentwurf, a.a.O., S. 64).
Hinweis:
Bei der Rechtsanwendung sind WpHG und Marktmissbrauchsverordnung "nebeneinander zu legen", was die Rechtsfindung nicht erleichtert. Hat der erste Prüfungsschritt ergeben, dass einer der Verbotstatbestände erfüllt ist, so ist weiter zu prüfen, ob durch die Handlung auf den inländischen Börsen- oder Marktpreis bzw. Preis eines Finanzinstruments ...