Gemäß § 12a S. 1 SGB II sind Leistungsberechtigte verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger (wie Renten nach dem SGB VI) in Anspruch zu nehmen und die hierfür erforderlichen Anträge zu stellen, soweit dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich ist. Satz 2 Nr. 1 dieser Vorschrift bestimmt aber, dass Leistungsberechtigte nicht verpflichtet sind, bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen. Hieraus folgt im Gegenschluss, dass nach Vollendung des 63. Lebensjahres die Träger der Grundsicherung die Leistungsberechtigten im Rahmen ihrer Selbsthilfeverpflichtung auffordern können, vorzeitig Altersrente zu beantragen und zwar solche, die in § 33 Abs. 3 SGB VI genannt werden. Soweit diese Renten vor der jeweils gesetzlich festgelegten Altersgrenze in Anspruch genommen werden, vermindert sich der für die Berechnung der Rentenhöhe maßgebliche Zugangsfaktor 1,0 für jeden Kalendermonat um 0,003 (§§ 64 Nr. 7, 77 Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Die Inanspruchnahme führt somit zu dauerhaften Abschlägen. Mit dem Rentenbezug endet zudem die Leistungsberechtigung im SGB II, § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II.
Stellen die Leistungsberechtigten trotz Aufforderung einen erforderlichen Leistungsantrag – der bei Sozialleistungen regelmäßig Anspruchsvoraussetzung ist, siehe im Rentenrecht § 99 SGB VI – nicht, können die Leistungsträger den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen, § 5 Abs. 3 S. 1 SGB II. Prozessual gilt, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, mit dem zur Beantragung einer vorrangigen Leistung aufgefordert wird, gem. § 39 Nr. 3 SGB II keine aufschiebende Wirkung haben.
Hinweis:
Eine Anwendbarkeit von § 12a SGB II kann die sog. 58er-Regelung entgegenstehen (§ 65 Abs. 4 S. 3 SGB II i.V.m. § 428 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGB III). Ausnahmetatbestände, bei deren Vorliegen Leistungsberechtigte nicht zur Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente verpflichtet sind, regelt abschließend die Unbilligkeitsverordnung vom 14.4.2008 (BGBl I, S. 734).
Das BSG hat sich im Urteil vom 19.8.2015 (B 14 AS 1/15 R) mit diesem Fragenkreis befasst (s. hierzu Bieback jurisPR-SozR 6/2016 Anm. 3; Wenner SoSi plus 10/2015, S. 1). Das Gericht hat zunächst entschieden, nicht nur die Antragstellung nach § 5 Abs. 3 SGB II, sondern bereits die vorgeschaltete Aufforderung an den Betroffenen hierzu stehe im Ermessen des Leistungsträgers, das jedoch nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist. Ermessensfehler (s. § 39 Abs. 1 SGB I, § 54 Abs. 2 S. 2 SGG) können zur Rechtswidrigkeit der Bescheide führen.
Der Kläger hatte geltend gemacht, die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente führe gegenüber der rund zwei Jahre später zu erwartenden, abschlagsfreien Regelaltersrente zu einer Minderung um ca. 80 EUR monatlich, die er nicht ausgleichen könne. Dieser Aspekt allein sei, so das BSG, im Rahmen der Ermessensausübung nicht zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, da der Gesetzgeber in Kenntnis der Wirkung der Rentenabschläge nach § 77 Abs. 2 SGB VI die Verpflichtung zum Rentenantrag als Regel vorgegeben habe. Der Gesetzgeber habe in § 13 Abs. 2 SGB II das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, wann Leistungsberechtigte nach Vollendung des 63. Lebensjahres nicht verpflichtet sind, Altersrente zu beantragen. Die in § 3 der Verordnung genannten, vom Gericht als abschließend angesehenen Konstellationen (Verlust von Ansprüchen auf Arbeitslosengeld I durch den Bezug von Altersrente; eine in nächster Zukunft mögliche Inanspruchnahme von Altersrente ohne Abschläge – wovon, so das BSG, bei einem Zeitraum von zwei Jahren oder länger dem Beginn der vorzeitigen Inanspruchnahme mit Abschlägen bis zur abschlagsfreien Inanspruchnahme nicht gesprochen werden könne, nach der Gesetzesbegründung soll hier nur ein Zeitraum von bis zu drei Monaten in Betracht kommen –; die konkrete Aussicht auf Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in nächster Zukunft; die Ausübung einer solchen Beschäftigung mit grundsätzlich bedarfsdeckendem Einkommen) lagen hier nicht vor.
Das Gericht führt ferner aus, ein atypischer Fall, bei dem eine Aufforderung zur Stellung des Rentenantrags bzw. die Stellung des Rentenantrags durch den Leistungsträger selbst ermessensfehlerhaft sein könnte, bestehe nicht. Unerheblich sei insoweit nach dem gesetzlichen Regelungskonzept,
- ob der vorzeitige Rentenbezug den Hilfebedarf nach dem SGB II ganz oder nur teilweise entfallen lässt (§ 12a SGB lässt eine Verminderung des Hilfebedarfs ausreichen),
- ob der Kläger künftig hilfebedürftig im SGB XII werde (u.a. dort mit der Konsequenz eines unter Umständen geringeren Vermögensschutzes) und
- ob die den Bedarf des Klägers übersteigende vorzeitige Altersrente auf den Arbeitslosengeld II-Anspruch seiner Ehefrau nach den Grundsätzen der sog. gemischten Bedarfsgemeinschaft anzurechnen wäre.
Offen ist derzeit, bei welchen Fallk...