Auch wenn sich die Vorschriften des BEM im Schwerbehindertenrecht des SGB IX finden, ist das BEM-Verfahren nicht nur auf schwerbehinderte und gleichgestellte Menschen anzuwenden, sondern auf alle Arbeitnehmer, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren (u.a. BAG, Urt. v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, BAGE 123, 234; v. 30.9.2010 – 2 AZR 88/09, BAGE 135, 361).
Auf die Beschäftigungsform kommt es dabei nicht an. Auch Arbeitnehmer, die befristet oder in Teilzeit beschäftigt werden, sowie Leiharbeitnehmer sind mit einzubeziehen. Weiter findet das BEM auch Anwendung auf die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, Richter und Beamte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.6.2010 – 6 P 8.09, BVerwGE 137, 148; Urt. v. 5.6.2014 – 2 C 22.13; BGH, Urt. v. 20.12.2006 – RiZ (R) 2/06).
Es zählt dabei jeder einzelne Tag der Arbeitsunfähigkeit, die der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber i.S.d. § 5 Abs. 1 EFZG anzeigt. Dies ist nicht abhängig davon, ob und ggf. wann der Arbeitnehmer vertraglich, tariflich oder gesetzlich verpflichtet ist, ein ärztliches Attest vorzulegen, oder welche Erkrankung der Arbeitsunfähigkeit zugrunde liegt.
Definition des Begriffs Arbeitsunfähigkeit:
Der Begriff Arbeitsunfähigkeit wird in § 2 Abs. 1 S. 1 Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses definiert. Danach ist ein Arbeitnehmer/Versicherter arbeitsunfähig, wenn er aufgrund von Krankheit die zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen kann. Es muss sich dabei nicht um ein und dieselbe Erkrankung handeln, die zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat, sondern es können auch häufige Kurzerkrankungen unterschiedlicher Ursachen darunter fallen. Zu den Zeiten der Arbeitsunfähigkeit zählen auch die Tage, an denen der Arbeitnehmer an einer medizinischen Reha-Maßnahme teilgenommen hat (Kossens, in: Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, Kommentar, 4. Aufl. 2015, § 84 SGB IX Rn 16).
Die Berechnung der Jahresfrist orientiert sich dabei nicht am Kalenderjahr, sondern maßgeblich sind jeweils die vorangegangenen 12 Monate. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 167 Abs. 2 SGB IX, insbesondere der Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und den Arbeitsplatz zu erhalten (Linck, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 17. Aufl. 2017, § 131 Rn 7). Es kann auch vorkommen, dass das BEM erneut anzubieten bzw. wiederholt durchzuführen ist, wenn der Arbeitnehmer Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Wochen erfüllt. Mit dem Ende des Berechnungszeitraums, also nach sechswöchiger Arbeitsunfähigkeit, setzt ein neuer Jahreszeitraum ein (str., bejahend LAG Düsseldorf, Urt. v. 20.10.2016 – 13 Sa 356/16, AE 2017, 112, Rn 36; a.A. Beck NZA 2017, 81, 82; Hoffmann-Remy NZA 2016, 267). Dies hat vor allem Bedeutung, wenn der Arbeitgeber eine krankheitsbedingte Kündigung aussprechen will. Hier ist der Zeitraum der letzten 12 Monate vor Ausspruch der Kündigung maßgebend.
Hinweis:
Das wiederholte Anbieten eines BEM ist kein reiner Formalismus. Hat der Arbeitnehmer früher einmal ein BEM abgelehnt und wird es ihm nun erneut angeboten, weil die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, ist nicht auszuschließen, dass der Arbeitnehmer seine Meinung zum BEM geändert hat und er jetzt zur Durchführung seine Zustimmung erteilt.