Wenn Richter sich untereinander kritisieren geschieht dies eigentlich eher zwischen den Zeilen. Gerade auch, wenn Richter einer höheren Instanz die sog. Vorderrichter aufheben und anderer Auffassung sind. Hier werden zurückhaltende Worte gewählt, wie "hätte das Gericht noch berücksichtigen können" oder "wäre zu beachten gewesen".
Doch jetzt ist dem 3. Strafsenat des BGH erkennbar die Hutschnur geplatzt. In seinem Beschl. v. 30.5.2018 (3 StR 486/17) gehen die fünf Richter sehr hart mit dem Landgericht Köln ins Gericht. "BGH kanzelt Kölner Richter ab", schreibt etwa der Kölner Stadtanzeiger in seiner Berichterstattung.
Mit Urt. v. 30.1.2017 (101 KLs13/15) hatte die 1. Große Strafkammer des LG Köln nach 90 Verhandlungstagen acht Salafisten aus Köln und Siegen, die als "Kirchenräuber für den Heiligen Krieg" regional bekannt wurden, zu Haftstrafen von zwei Jahren und sieben Monaten bis zu vier Jahren und zehn Monaten wegen Bandendiebstahls und in einem Fall wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt – jedoch keine Vorbereitung einer schwereren staatsgefährdeten Gewalttat abgelehnt. Die Täter waren mehr als drei Jahre in Kirchen eingebrochen und hatten dabei eine Beute von rund 19.000 EUR gemacht, in den Kirchen selbst aber hohe Schäden verursacht. Das Urteil umfasste knapp 1.300 Seiten.
Die Revisionen dagegen blieben ohne Erfolg, aber nur deshalb: "Das Urteil hat gleichwohl Bestand, weil es dem Senat letztlich doch noch möglich war, aus der Vielzahl überflüssiger Ausführungen diejenigen herauszufiltern, derer es zum Beleg der jeweiligen Schuld- und Rechtsfolgenaussprüche bedurfte."
Dieser Feststellung am Ende der Gründe des BGH-Beschlusses hat eine Vorgeschichte, die hier auszugsweise wörtlich zitiert werden soll: "Zur Abfassung von Urteilsgründen hat der BGH (...) bereits mehrfach entschieden, dass die Urteilsgründe nach § 267 Abs. 1 S. 1 StPO die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden; die Sachverhaltsschilderung soll kurz, klar und bestimmt sein und alles Unwesentliche fortlassen. Gleiches gilt entsprechend für die Beweiswürdigung, in der das Beweisergebnis nur so weit erörtert werden soll, wie es für die Entscheidung von Bedeutung ist, nicht aber eine Dokumentation der Beweisaufnahme vorgenommen werden soll. Ebenso wenig ist es angezeigt, zu jeder Feststellung, mag sie in Bezug auf den Tatvorwurf noch so unwesentlich sein, einen Beleg in den Urteilsgründen zu erbringen (...)", beginnen die Richter ihre Abrechnung mit den Kollegen in Köln.
Und weiter: "Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung nötigt das angefochtene, knapp 1.300 Seiten lange Urteil zu dem Hinweis, dass mit dieser Rechtsprechung nicht bloß unverbindliche stilistische Maßgaben aufgestellt werden sollen, sondern dass es sich insoweit um die einzuhaltenden gesetzlichen Vorgaben des § 267 Abs. 1–3 StPO handelt. Die Urteilsgründe werden diesen nicht gerecht und offenbaren schwerwiegende handwerkliche Schwächen sowie grundsätzliche Verständnismängel, wenn – wie beispielsweise hier – in den Feststellungen zur Sache, die von Blatt 32 bis Blatt 414 der Urteilsgründe reichen, über mehr als 220 Seiten Mitschnitte von Telefongesprächen und Chatprotokolle ausführlich und teils wörtlich wiedergegeben werden; sich weitere 57 Seiten der Feststellungen zur Sache mit dem "Verfahrensgang" befassen, ohne dass – mit Ausnahme weniger Ausführungen zu den Bemühungen einiger Angeklagter um einen Täter-Opfer-Ausgleich – ersichtlich wird, welche Konsequenzen sich daraus für den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch ergeben könnten; in der "Beweiswürdigung" die Einlassungen der Angeklagten auf mehr als 120 Seiten nicht nur inhaltlich, sondern auch hinsichtlich ihrer Entstehung umfassend – einschließlich der Nachfragen von Verfahrensbeteiligten – dokumentiert werden; diese Einlassungen alsdann in der Würdigung der "Beweisaufnahme im engeren Sinne" zur Bandenstruktur, den Motiven der Bandendiebstähle sowie zu den Einzeltaten erneut wiedergegeben werden; die bereits in den Feststellungen dokumentierten Telefongespräche und Chatprotokolle nunmehr in der Beweiswürdigung ebenfalls erneut umfänglich zitiert werden; die ohnehin entbehrlichen Feststellungen zum Verfahrensgang auf 50 Seiten auch noch belegt werden; für jeden Halbsatz der übermäßig ausführlichen Feststellungen auch zu gänzlich unwichtigen Details ein Beweismittel benannt und dessen Inhalt wiedergegeben wird. Angesichts der zur Verurteilung gelangten zwölf Einzeltaten und der allenfalls durchschnittlich schwierigen Beweislage – die Angeklagten haben die ihnen zur Last gelegten Taten ganz überwiegend gestanden und lediglich die Bandenabrede sowie die Tatmotivation (Unterstützung islamistischer bzw. jihadistischer Bestrebungen in Syrien) bestritten – lässt der Umfang der Feststellungen mit gut 400 Seiten sowie der "Beweiswürdigung", die insgesamt mehr als 720 Seiten lang ist, nur den Schluss zu, dass die Urteilsverfasser nicht die notwendige gedan...