aa) Allgemeines
Führt die Ersatzvornahme oder das Zwangsgeld nicht zum Ziel oder sind sie untunlich, so kann die Vollzugsbehörde den Pflichtigen zur Handlung, Duldung oder Unterlassung zwingen oder die Handlung selbst vornehmen (§ 12 VwVG). Unmittelbarer Zwang ist die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen. Körperliche Gewalt ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen. Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind insbesondere Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde, -pferde oder Dienstfahrzeuge. Waffen sind dienstlich zugelassene Hieb- und Schusswaffen, Reizstoffe und Explosivmittel, § 2 UzwG (Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes). Es gilt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Vollzugsbeamten haben bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs unter mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenigen zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen. Ein durch eine Maßnahme des unmittelbaren Zwangs zu erwartender Schaden darf nicht erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen, § 4 UzwG.
Beispiel:
Die Stilllegung von Bauarbeiten durch unmittelbaren Zwang kann in Form der Versiegelung erfolgen. Nach ständiger Rechtsprechung der Bausenate des OVG NRW rechtfertigt regelmäßig allein die formelle Illegalität einer Baumaßnahme ihre Stilllegung, es sei denn, dass der erforderliche Bauantrag gestellt und nach Rechtsauffassung der Behörde genehmigungsfähig ist und schließlich der Erteilung der Baugenehmigung auch sonst nichts im Wege steht. Mit dem Siegel soll auf den Ordnungspflichtigen derart eingewirkt werden, dass er die Fortsetzung der untersagten Tätigkeit, insbesondere die Fortsetzung der Bauarbeiten, unterlässt (OVG NRW, Beschl. v. 27.12.1999 – 7 B 2016).
Die durch die Anwendung des Verwaltungszwangs entstehenden Kosten hat der Pflichtige nach § 19 VwVG zu tragen. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass ein vermeintlicher Störer nur dann von den Vollstreckungskosten freigestellt wird, wenn er die den Verdacht oder Anschein der Gefahrenverursachung begründenden Umstände nicht zu verantworten hat.
bb) Abschiebung eines Ausländers als Sonderform des unmittelbaren Zwangs
Die Abschiebung eines Ausländers nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) stellt eine Sonderform des unmittelbaren Zwangs dar. Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer
- unerlaubt eingereist ist,
- noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
- aufgrund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gem. Art. 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates v. 28.5.2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist (§ 58 Abs. 1, 2 AufenthG; zu Abschiebungsverboten vgl. Marx, Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht, 6. Aufl. 2016, § 7 Rn 22 ff.; Rödel, ZAP F. 19, S. 817 ff., 823). Der Vollzug der Abschiebungshaft und der Ausreisegewahrsam sind in den §§ 62a f. AufenthG näher geregelt.
Hinweis:
Die Abschiebungsandrohung als spezialgesetzlich geregelte Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung setzt allerdings nicht voraus, dass die zu vollziehende Ausreisepflicht schon bei Ausspruch der darauf gerichteten Androhung vollziehbar sein muss, wenn die Ausländerbehörde in zulässiger Weise Ausweisung und Abschiebungsandrohung in einer Ordnungsverfügung verbindet (OVG NRW, Beschl. v. 20.2.2009 – 18 A 2620/08).
Die Androhung der Abschiebung stellt kein zulässiges milderes Mittel gegenüber der Anordnung dar, da Abschiebungsanordnung und Abschiebungsandrohung unterschiedliche Maßnahmen der Verwaltungsvollstreckung darstellen, die nicht teilidentisch sind. Insbesondere ist eine Abschiebungsandrohung nicht als Minus in jeder Abschiebungsanordnung enthalten. Auch der Umstand, dass beide Maßnahmen auf das gleiche Ziel gerichtet sind, nämlich auf eine Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet, und teilweise identische Prüfungsinhalte bestehen, begründet keine Teilidentität in dem Sinne, dass die Ersetzung einer (rechtswidrigen) Abschiebungsanordnung durch eine Abschiebungsandrohung als „milderes Mittel“ möglich ist....