Bereits im Koalitionsvertrag hatten die Unionsparteien und die SPD vereinbart, Wirtschaftskriminalität wirksamer zu verfolgen und angemessen ahnden zu wollen. Vor Augen hatten die Verfasser seinerzeit die Wirtschaftsskandale der letzten Jahre, etwa den Abgasskandal bei Dieselfahrzeugen oder die bekannt gewordenen Verkäufe von Gammelfleisch. Nun hat Bundesjustizministerin Christine Lambrecht einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem das Unternehmensstrafrecht deutlich verschärft werden soll.
Mit dem von ihr geplanten Verbandssanktionengesetz soll die Sanktionierung von Unternehmen, aber auch von sonstigen privaten und öffentlich-rechtlichen Verbänden einer neuen gesetzlichen Grundlage unterstellt werden. Herzstück der Pläne ist die Verantwortlichkeit der Leitungspersonen für Gesetzesverstöße ihres Verbands, die durch angemessene Vorkehrungen hätten verhindert oder wesentlich erschwert werden können. Für die Verfolgung dieser Taten soll zudem das Legalitätsprinzip eingeführt werden, Staatsanwaltschaften sollen also beim Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Verbandsstraftat künftig ein Ermittlungsverfahren einleiten müssen. Bislang galt für die Verfolgung hier das Opportunitätsprinzip.
Die Obergrenze für Unternehmenssanktionen liegt derzeit bei 10 Mio. EUR – unabhängig von der Größe des Unternehmens. Künftig soll diese Grenze bei Unternehmen mit mehr als 100 Mio. EUR Jahresumsatz bei 10 % des Umsatzes liegen. Bei großen Konzernen könnte dies zu Sanktionen in Milliardenhöhe führen. "Kriminelle Konzerne sollten Sanktionen nicht mehr aus der Portokasse bezahlen können", begründete die Ministerin diese Anhebung.
Zugleich sollen Compliance-Maßnahmen gefördert und Anreize für Unternehmen gesetzt werden, durch die Durchführung interner Untersuchungen am Verfahren mitzuwirken. Damit sollen die Firmen animiert werden, sich selbst interne Regeln zu geben, die den einzelnen Beschäftigten davor schützen, sich strafbar zu machen. Hierfür werden im Gesetzentwurf Sanktionsmilderungen in Aussicht gestellt.
Während die Pläne des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) bereits viel Zustimmung erhielten, insbesondere seitens der Verbraucherschützer, gab es teilweise auch heftige Kritik, etwa aus der Wirtschaft, aber auch aus der Anwaltschaft. So kritisierte das Institut der deutschen Wirtschaft, die Schuld einzelner Menschen solle auf Unternehmen als abstrakte Organisation verlagert werden. Dies sei für das Rechtssystem etwas Neues und führe dazu, dass man Gruppen in Unternehmen "als Ganzes unter einen Verdacht" setze. Andere wiesen darauf hin, dass die drastisch angehobenen Sanktionen auf bis zu 10 % des jährlichen weltweiten Jahresumsatzes beileibe nicht nur Großkonzerne betreffe, sondern auch viele Mittelständler, denn auch hier würde die Schwelle von 100 Mio. EUR Jahresumsatz oft erreicht.
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) ist ebenfalls der Meinung, dass ein "Sonderstrafrecht für Unternehmen" nicht nötig ist. Das jetzige Sanktionensystem reiche – trotz einiger spektakulärer Einzelfälle – aus, so der DAV in einem Statement. Die Angemessenheit einer Sanktion von 10 % des Jahresumsatzes sei zweifelhaft. Die in der Öffentlichkeit diskutierten Fälle, etwa rund um den Dieselskandal, zeigten gerade, dass Manager eine persönliche Verantwortung treffe. Es reiche aus, sie strafrechtlich zu verfolgen. Bedenken hat der DAV auch bezüglich der Beschuldigtenrechte: Wenn Unternehmen künftig wie Beschuldigte im Strafverfahren behandelt würden, müssten sie auch vergleichbare Rechte haben. Sie dürften nicht verpflichtet werden, an der eigenen Verfolgung mitzuwirken. In Aussicht gestellte Strafmilderungen im Falle interner Untersuchungen dürften keinen unzulässigen Druck ausüben, auf Verfahrensrechte zu verzichten. Auch müssten interne Untersuchungen – wie bei Individualbeschuldigten – ein geschützter Bereich sein. Die Ermittlungsbehörden dürften auf Erkenntnisse der internen Untersuchung nicht zugreifen. Besonders der Schutz des Anwaltsgeheimnisses müsse garantiert sein. Hierzu gehörten Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbote wie auch ein anwaltliches Zeugnisverweigerungsrecht.
[Red.]