Während man noch vor 15 Jahren Konflikte innerhalb seiner sozialen Filterblase gerne einmal je nach individueller Fähigkeit und persönlichem Geschmack entweder verbal oder handfest austrug, ist, spätestens seit viele Jugendliche ab zwölf den Berufswunsch des Influencers hegen und im Zuge dessen mehr oder weniger sinnvolle Beiträge von und über sich in den sozialen Medien posten, eine weitere Form der Auseinandersetzung hinzugekommen: die Kommentarspalte bei Facebook oder Instagram.
Dies vorangeschickt hat das Beratungsportfolio von Anwaltskanzleien durchaus an Vielfältigkeit gewonnen. Doch was tun, wenn die jugendliche Influencerin in bester Absicht Bikinifotos von sich gepostet und damit eine Flut an Kommentaren und Privatnachrichten in Form sog. Dickpics (neudeutsch für Penisfoto) ausgelöst hat, die derart unter der – bezogen auf die Fotos entblößten – Gürtellinie sind, dass nicht nur die Eltern zu Recht empört sind? Was tun, wenn der von seiner Gattin frisch getrennte Mittfünziger vor einem sitzt und lamentiert, seine Ex verbreite auf ihren Social Media-Accounts das – freilich jeder Grundlage entbehrende – Gerücht, er sei bereits im beschaulichen Lebensabschnitt der Impotenz angelangt?
Neben dem Ratschlag, dass eine finanziell auskömmliche Karriere als Influencer oftmals damit einhergeht, zuvor eine Art Ausbildung zur Spielerfrau oder Schlagerbardenescorte absolviert zu haben, respektive einem aufmunternden an den Frischgetrennten gerichteten "Da sollten Sie drüberstehen!", wird man rasch beim juristischen Kern der Sache angelangen, angefangen bei den altbekannten §§ 185 ff. StGB über § 184 Nr. 6 StGB bis hin zu § 238 StGB.
Vor Prüfung der materiellen Tatbestandsvoraussetzungen gilt es, zunächst einmal einen Blick auf laufende Fristen sowie die prozessualen Rechte des Mandanten zu werfen; letzteres wird diesen auch deutlich mehr interessieren als die materiellrechtliche Abgrenzung von § 185 StGB gegenüber § 186 StGB, und es eröffnet dem Anwalt Gelegenheit, zu erklären, dass ein Opfer auch gegenüber nicht-körperlichen Angriffen nicht schutzlos ist.
Der erste Griff bei der Beratung von Mandanten aus der Fallgruppe Social Media muss derjenige zum Kalender sein. Die meisten der in Frage kommenden Straftatbestände werden bei Erstattung einer Strafanzeige nicht von Amts wegen verfolgt, sondern bedürfen eines Strafantrags. Im Falle der Beleidigungstatbestände, §§ 185 ff. StGB, folgt dies aus § 194 StGB, der zwar ausweislich des Wortlauts nur die Beleidigung zu’umfassen scheint, vgl. § 194 Abs. 1 S. 1 StGB, aber dennoch für alle Beleidigungstatbestände des 14.’Abschnitts gilt.
Bei der Nachstellung in Gestalt des § 238 Abs. 1 StGB bestimmt § 238 Abs. 4 StGB das Strafantragserfordernis; die übrigen, schwereren Fälle, § 238 Abs. 2, 3 StGB bedürfen nicht der Stellung eines Strafantrags.
Antragsberechtigt ist der Verletzte der Tat, § 77 Abs. 1 S. 1 StGB; bei der Vertretung Minderjähriger ist der Strafantrag durch den oder die gesetzlichen Vertreter zu stellen, § 77 Abs. 3 StGB.
Verfolgt wird die Tat nur dann, wenn der Strafantrag binnen drei Monaten ab Kenntnis von Tat und Täter erfolgt, § 77b Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 StGB; ist der Verletzte minderjährig, kommt es auf die Kenntnis des oder der gesetzlichen Vertreter an, § 77b Abs. 3 S. 3 StGB.
Die Erstattung der Strafanzeige kann einerseits schriftlich erfolgen, was bei anwaltlicher Vertretung die Regel sein wird, andererseits bei der Polizeiinspektion vor Ort. Wichtig ist es, darauf zu achten, dass tatsächlich das Strafantragsbegehren formuliert wird. Die Standardformulierung lautet insoweit: „Namens und im Auftrag meines Mandanten (...) stelle ich Strafanzeige gegen (...) und erstatte Strafantrag wegen sämtlicher in Betracht kommender Delikte.” Im Nachgang wird der zugrunde liegende Sachverhalt geschildert. Es ist empfehlenswert, beim Mandanten nachzufragen, mit welchen Beeinträchtigungen im täglichen Leben die Belästigungen einhergehen. Sind die Beeinträchtigungen von besonderer Schwere und Erheblichkeit, sollten diese ärztlicherseits attestiert werden. Hintergrund ist, dass § 395 Abs. 3 StPO bei besonders gravierenden Fällen der §§ 185 ff. StGB zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt:
"Wer durch eine andere rechtswidrige Tat, insb. nach den §§ 185 bis 189, 222, 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4, §§ 249 bis 255 und 316a des Strafgesetzbuches, verletzt ist, kann sich der erhobenen öffentlichen Klage mit der Nebenklage anschließen, wenn dies aus besonderen Gründen, insb. wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung seiner Interessen geboten erscheint."
Im Falle des § 238 StGB bestimmt § 395 Abs. 1 Nr. 4 StPO, dass der Verletzte berechtigt ist, sich als Nebenkläger der öffentlichen Klage anzuschließen.
Unabhängig davon, ob ein Ermittlungsverfahren in eine Anklage mündet, kann sich der Verletzte jederzeit eines Verletztenbeistands, § 406f StPO, bedienen. Die weiteren Vorschriften regeln u.a. die Beiordnung eines Verletztenbeistands im Wege der Prozesskostenhilfe, § 406h StPO.
In ta...