I. Einleitung
Die nachfolgenden Ausführungen enthalten einen Überblick über die wesentlichen gesetzlichen Neuregelungen im Verfahrensrecht der StPO und des GVG aufgrund des "Gesetz zur Fortentwicklung der StPO und zur Änderung weiterer Vorschriften" v. 25.6.2021 (BGBl I, S. 2099). Es handelt sich um einen ersten Überblick, der die Neuregelungen nur in groben Zügen darstellt. Über einzelne Änderungen/Neuerungen werden wir demnächst umfangreicher berichten. Zur Vertiefung wird verwiesen auf das Ebook von Burhoff, Fortentwicklung der StPO u.a. Die Änderungen in der StPO 2021 – ein erster Überblick, 2021, das als PDF über die Homepage des Verfassers bestellt werden kann (im Folgenden kurz: Burhoff, StPO 2021). Nicht enthalten sind Ausführungen zu den Änderungen in anderen Gesetzen, wie z.B. im BKAG, GVG, StGB. Dazu wird auf Gesetzesbegründung in der BT-Drucks 19/27654 verwiesen (a.a.O., S. 115 ff).
Hinweis:
Das "Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a." v. 25.6.2021 (im Folgenden kurz: Gesetz) ist nach einem recht "zügigen" Gesetzgebungsverfahren (vgl. dazu Burhoff, StPO 2021, Rn 3 ff.) am 10.6.2021 im Bundestag (im Folgenden: BT) verabschiedet worden und, nachdem der Bundesrat (im Folgenden: BR) am 25.6.2021 zugestimmt hatte, am 30.6.2021 im BGBl verkündet worden (vgl. BGBl I, S. 2099). Nach Art. 28 S. 1 des Gesetzes sind die Neuregelungen damit am 1.7.2021 in Kraft getreten.
Da es sich um Verfahrensrecht handelt, sind/waren sie ohne Einschränkung auch in bereits laufenden Straf- und Bußgeldverfahren anzuwenden.
II. Zurückstellung der Benachrichtigung von der Beschlagnahme – "heimliche Beschlagnahme" (§ 95a StPO)
1. Neuregelung
Die Beschlagnahme ist als offene Ermittlungsmaßnahme gem. § 35 Abs. 2 StPO den von ihr betroffenen Personen, also insb. dem Beschuldigten, wenn die Beschlagnahme bei einer anderen nichtbeschuldigten Person erfolgt, bekanntzumachen ist. Der Gesetzgeber hat hier eine Gefahr für Ermittlungen gesehen, weil die Aufdeckung der Beschlagnahme einen Ermittlungserfolg gefährden könne (vgl. BT-Drucks 19/27654, S. 59 ff.). Vor diesem Hintergrund ist durch das Gesetz § 95a StPO eingefügt worden. Der gibt nun die Möglichkeit, die Bekanntgabe einer Beschlagnahme in bestimmten Konstellationen und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgebots zurückzustellen (krit. zu der Neuregelung und zu verfassungsrechtlichen Bedenken Hieramente jurisPR-Strafrecht 3/2021 Anm. 1; wegen weiterer Einzelh. Burhoff, StPO 2021, Rn 28 ff.).
2. Inhalt der Neuregelung des § 95a Abs. 1 StPO
Zulässig ist die "heimliche Beschlagnahme" nur in den Fällen, in denen ein Dritter einen Gegenstand in Gewahrsam hat, der nach § 94 Abs. 2 StPO beschlagnahmt wird. Mitgewahrsam dürfte ausreichen. Zulässig ist die Zurückstellung der Benachrichtigung auch nur gegenüber dem Beschuldigten. Die Zurückstellung der Bekanntgabe auch gegenüber dem Gewahrsamsinhaber kommt nicht in Betracht. § 95a Abs. 1 StPO erfasst aber sowohl den Fall § 98a StPO als auch den nach § 98 Abs. 2 StPO) (dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 8. Aufl., 2019, Rn 828 ff., 901 ff. [im Folgenden Burhoff, EV, zu allem BT-Drucks 19/27654, S. 61 f.). Die Zurückstellung der Benachrichtigung erstreckt sich nicht nur auf elektronische Beweismittel (E-Mail-Postfächer, Cloud-Speicher und Ähnliches), auch wenn der Hauptanwendungsfall vermutlich im Bereich der Beschlagnahme von elektronischen Beweismitteln zu finden sein wird.
Die Zurückstellung der Beschlagnahme nach § 95a StPO kommt ausschließlich dann in Betracht, wenn die sofortige Bekanntgabe der Beschlagnahmeanordnung nach § 35 Abs. 2 StPO gegenüber dem Beschuldigten den Untersuchungszweck gefährden würde. Insoweit gelten die Grundsätze zu § 101 Abs. 5 S. 1 Alt. 1 StPO, der die Zurückstellung der Benachrichtigung bei den verdeckt ausgestalteten Ermittlungsmaßnahmen regelt (BT-Drucks 19/27654, S. 61.; wegen der Einzelh. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl. 2021, § 101 Rn 19 [im Folgenden: Meyer-Goßner/Schmitt]; Burhoff, EV, Rn 2822 und Rn 3621 ff.). Es ist darauf abzustellen, ob die Erforschung des Sachverhalts, mithin die Klärung des gegen den Beschuldigten bestehenden Tatverdachts mittels aller zulässigen Untersuchungshandlungen, durch die sofortige Offenlegung gefährdet ist (BT-Drucks 19/27654, S. 61 f.).
Die "Zurückstellungsschwelle" (§ 95a Abs. 1 Nr. 1 StPO) ist verhältnismäßig hoch. Voraussetzung ist nämlich, dass betreffend den Beschuldigten der Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung besteht (BT-Drucks 19/27654, S. 62). Das ist die Formulierung, wie sie die StPO z.B. auch in § 98a StPO bei der Rasterfahndung, verwendet (dazu Burhoff, EV, Rn 3601 f.; vgl. a. noch §§ 81g Abs. 1 S. 1, 100h Abs. 1 S. 2, 100i Abs. 1, 131 ff., 163e Abs. 1 S. 1, 163f Abs. 1 S. 1 StPO). Danach scheiden Bagatelldelikte aus und die Anlasstat muss mindestens dem mittleren Kriminalitätsbereich zuzurechnen sein, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sein, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen, was bei Verbrechen i.d.R. der Fall sein dürfte, bei Vergehen aber erst ab einer bestimmten erhöhten Strafrahmenobergrenze. Als Orientierungshilfe wird m...