§ 1666 Abs. 3 BGB zählt einige Maßnahmen auf, die das Familiengericht treffen kann:
- Gebote, öffentliche Hilfen wie z.B. Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
- Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
- Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
- Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
- die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
- die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
Hinweis:
Das Familiengericht kann darüber hinaus aber jede andere Maßnahme treffen, die zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung geeignet ist.
Das BVerfG betont stark das Elternrecht. Die Eltern können eigenverantwortlich und grds. frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten wollen (BVerfG, Beschl. v. 17.2.1982 – 1 BvR 188/80, FamRZ 1982, 567). Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtige daher den Staat, die Eltern von der Pflege und Erziehung auszuschließen (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 29.1.2010 – 1 BvR 374/09, FamRZ 2010, 713). Es gehöre nicht zur Ausübung des staatlichen Wächteramts, für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen (OLG Köln FamRZ 2013, 1994; OLG Hamm, Beschl. v. 2.4.2009 – II-11’UF 232/08, FamRZ 2009, 1753, 1754). Grundsätzlich sollen die sozio-ökonomischen Verhältnisse der Eltern zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes gehören (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 29.1.2010 – 1 BvR 374/09, FamRZ 2010, 713).
Zudem muss der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet werden (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 17.6.2009 – 1 BvR 467/09, FamRZ 2009, 1472; BGH, Beschl. v. 6.7.2016 – XII ZB 47/15, FamRZ 2016, 1752; OLG Hamm FamRZ 2013, 198). Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs bestimmen sich auch nach dem Grund des elterlichen Versagens und nach dem, was im Interesse des Kindes geboten ist. Aus mehreren gleich gut geeigneten Mitteln muss das am wenigsten beeinträchtigende gewählt werden (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 28.2.2012 – 1 BvR 3116/11, FamRZ 2012, 1127). Aufgabe des Staates sei, vorrangig durch helfende, unterstützende und auf (Wieder-)Herstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der Eltern gerichtete Maßnahmen wie z.B. Hilfen zur Erziehung nach den §§ 27 ff. SGB VIII (EGMR, Urt. v. 21.9.2006 – 12643/02, FamRZ 2006, 1817; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 21.6.2002 – 1 BvR 605/02, FamRZ 2002, 1021) dieses Ziel zu erreichen. Die anzuordnende Maßnahme muss zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung effektiv geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Die Erforderlichkeit beinhaltet dabei das Gebot, aus den zur Erreichung des Zweckes gleich gut geeigneten Mitteln das mildeste, die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigende Mittel zu wählen (BGH, Beschl. v. 6.7.2016 – XII ZB 47/15, FamRZ 2016, 1752).
Einzelne Fälle aus der Rechtsprechung für eine Anordnung nach § 1666 BGB:
- Beharrliche Weigerung der Eltern, ihre Kinder einer öffentlichen Grundschule oder einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen (EGMR, Urt. v. 10.1.2019 – 18925/15, FamRZ 2020, 33, BGH, Beschl. v. 17.10.2007 – XII ZB 42/07, FamRZ 2008, 45; OLG Köln, Beschl. v. 12.9.2012 – II-4 UF 142/12, FamRZ 2013, 1989; OLG Hamm, Beschl. v. 21.02.2013 – II-2 UF 246/12, FamRZ 2013, 707; OLG Hamm, Beschl. v. 8.5.2012 – II-11 UF 177/10, FamRZ 2013, 708; OLG Frankfurt, Beschl. v. 15.8.2014 – 6 UF 30/14, FamRZ 2014, 1857 auch zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, vgl. aber OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25.7.2018 – 2 UF 18/17, FamRZ 2019, 35).
- Gefahr der Beschneidung eines Mädchens bei Verbringung in sein afrikanisches Heimatland (BGH, Beschl. v. 15.12.2004 – XII ZB 166/03, FamRZ 2005, 344).
- Abwehr einer Kindeswohlgefährdung bei Zusammenleben der Mutter mit einem wegen sexuellen Kindesmissbrauchs vorbestraften Lebensgefährten (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.5.2019 – 18 UF 91/18, FamRZ 2019, 1429).
- Gefährdung des Kindeswohls durch Anfertigung kinderpornografischer Fotografien (OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.3.2018 – 1 UF 4/18, NJW 2018, 2208).
- Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts bei emotionaler Vernachlässigung eines 6jährigen Kindes durch die alleinerziehende Mutter (OLG Brandenburg, Beschl. v. 4.12.2015 – 13 UF 95/15, FamRZ 2016, 1180).
- Entziehung der elterlichen Sorge bei schwerwiegender Kindesmisshandlung in der Obhut der Eltern (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 3.3.2017 – 18 UF 159/16, juris).
- Inobhutnahme von Kindern einer Glaubensgemeinschaft wegen Züchtigung mit der Rute (EGMR, Urt. v. 22.3.2018 – 68125/14, NJW 2019, 1733).
- Erfüllen die Eltern die Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem bevollmächtigten Jugendamt nicht...