1. Gemeinsames Sorgerecht beider Eltern
Das Recht der elterlichen Sorge steht verheirateten Eltern kraft Gesetzes gemeinsam zu. Gerichtliche Entscheidungen über das Sorgerecht sind nur im Falle einer Trennung oder Scheidung praxisrelevant (s.u. S. 859).
Bei nicht verheirateten Eltern stellt sich erst einmal die Frage, ob gemeinsame elterliche Sorge hinsichtlich der gemeinsamen Kinder besteht bzw. wie diese begründet werden kann (s.u. S. 864). Trennen sich die unverheirateten Eltern, gilt ein bestehendes gemeinsames Sorgerecht ebenfalls fort. Aber auch hier kann eine gerichtliche Entscheidung über das Sorgerecht erforderlich werden.
Leben die Eltern des Kindes getrennt und lebt das Kind bei einem Elternteil (der Sonderfall des Wechselmodells wird in diesem Beitrag nicht behandelt), hat damit dieser Elternteil auch die alleinige Entscheidungskompetenz über die Angelegenheiten des täglichen Lebens (§ 1687 Abs. 1 S. 2 BGB). Dagegen ist für Regelungen, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, bei gemeinsamem Sorgerecht das Einverständnis des anderen Elternteils erforderlich (§ 1687 Abs. 1 S. 1 BGB; s.u. S. 859ff.).
2. Inhalt des Sorgerechts
Das Sorgerecht umfasst die Personen- sowie die Vermögenssorge (§ 1626 Abs. 1 BGB) einschließlich der gesetzlichen Vertretung des Kindes auch in gerichtlichen Verfahren (§ 1629 BGB). Die – praktisch meist nur relevante – Personensorge umfasst nach § 1631 Abs. 1 BGB v.a. die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Dagegen sind Streitigkeiten über die in §§ 1638 ff. BGB geregelte Vermögenssorge in der Gerichtspraxis Ausnahmefälle.
3. Aufenthaltsbestimmungsrecht
Die elterliche Sorge berechtigt, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen, also ggf. festzulegen, bei welchem Elternteil das Kind leben soll.
4. Gerichtliche Streitigkeiten über Aufhebung des gemeinsamen Sorgerechts nach Trennung der Eltern
Nach Trennung und Scheidung der verheirateten Eltern besteht folglich kraft Gesetzes die gemeinsame elterliche Sorge über die gemeinschaftlichen Kinder fort. Dies kann nach § 1671 BGB nur auf Antrag eines Elternteils (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 5.11.2018 – 6 UF 82/18, FamRZ 2019, 985) vom Familiengericht aufgehoben werden.
5. Gerichtliche Regelungen des Sorgerechts
Das Gesetz sieht in § 1671 BGB folgende Möglichkeiten der Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf einen Elternteil vor.
a) Gerichtliche Entscheidung bei Einverständnis des anderen Elternteils, § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 BGB
Ist der andere Elternteil einverstanden mit der Übertragung des alleinigen Sorgerechts, so ist dennoch eine gerichtliche Entscheidung erforderlich, denn das Sorgerecht ist für Eltern nicht disponibel. Die Vereinbarung der Eltern ist nur Grundlage einer entsprechenden gerichtlichen Gestaltungsentscheidung (OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.3.2014 – 11 UF 42/14, FamRZ 2014, 1653). Widerspricht das über 14 Jahre alte Kind, so muss das Gericht nicht zwingend vom Vorschlag der Eltern abweichen, sondern ist nur zu einer umfassenden Kindeswohlprüfung nach § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB verpflichtet.
b) Gerichtliche Entscheidung bei fehlendem Einverständnis des anderen Elternteils, § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB
Gemäß § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge ohne Zustimmung des anderen Elternteils stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Kindeswohl am besten entspricht. Im familiengerichtlichen Verfahren nimmt das Gericht folglich eine zweistufige Kindeswohlprüfung vor:
- In der ersten Stufe ist zu klären, ob die Aufrechterhaltung des gemeinsamen Sorgerechts dem Kindeswohl am besten entspricht oder die Aufhebung der gemeinsamen Sorge vorzuziehen ist.
- Wird die Aufhebung bejaht, ist in der zweiten Stufe zu entscheiden, welcher Elternteil besser geeignet ist, in Zukunft die alleinige elterliche Sorge zu übernehmen.
aa) 1. Stufe: Dient die alleinige elterliche Sorge dem Kindeswohl?
Zu prüfen ist hier
- inwieweit beide Eltern uneingeschränkt zur gemeinsamen Pflege und Erziehung des Kindes geeignet sind,
- ob ein gemeinsamer Wille zur Kooperation besteht und
- ob keine sonstigen Gründe vorliegen, die es im Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht nur einem Elternteil zu übertragen.
In Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge praktisch nicht „funktioniert” und es den Eltern nicht gelingt, zu gemeinsamen Entscheidungen im Interesse des Kindes zu gelangen, ist der Alleinsorge eines Elternteils den Vorzug gegenüber dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge zu geben (BGH, Beschl. v. 11.5.2005 – XII ZB 33/04, FamRZ 2005, 1167; BGH, Beschl. v. 29.9.1999 – XII ZB 3/99, FamRZ 1999, 1646; OLG Köln, Beschl. v. 11.10.2010 – 4 UF 130/10, FamRZ 2011, 490). Denn die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung, die sich als oberste Richtschnur an dem so verstandenen Kindeswohl auszurichten hat (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG), setzt eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus und erfordert daher ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen (BVerfG, Kammerbeschl. v. 18.12.2003 – 1 BvR 1140/03, FamRZ 2004, 354 f.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.8.2017 – 16 UF 139/17, FamRZ 2018, 354). Zentrale ...