Das Gesetz sieht verschiedene Qualifikationstatbestände vor, deren Verortung kompliziert und auch nicht durchgängig schlüssig erscheint. Sämtliche Qualifikationen stufen den sexuellen Übergriff zum Verbrechen herauf.
1. Widerstandsunfähigkeit aufgrund Krankheit oder Behinderung
§ 177 Abs. 4 StGB stellt eine Qualifikation zu § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB dar und erfasst den Fall, dass die Widerstandsunfähigkeit des Opfers auf Krankheit oder Behinderung beruht. Die Vorschrift wurde auf Initiative von Interessenverbänden eingefügt (s. hierzu Hörnle, NStZ 2017, 13, 18 m.w.N.). Beruht die Widerstandsunfähigkeit auf sonstigen Umständen wie beispielsweise einem Alkoholrausch, ist die Qualifikation nicht einschlägig (BGH, Beschl. v. 29.8.2018 – 4 StR 323/18), was im Hinblick auf den jeweiligen Unrechtsgehalt als wertungswidersprüchlich im Verhältnis z.B. zu dem Fall kritisiert wird, dass dem Opfer K.O.-Mittel verabreicht werden (Schönke/Schröder/Eisele, § 177 Rn 63; s. auch Hörnle, NStZ 2017, 13, 18). Dabei ist jedoch zu sehen, dass in derartigen Fällen andere Qualifikationstatbestände eingreifen (können), namentlich § 177 Abs. 5 Nr. 1, Abs. 7, Abs. 8 StGB.
2. Gewalt, qualifizierte Drohung oder schutzlose Lage
§ 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB erfasst den sexuellen Übergriff mit Gewalt. Die Gewalt muss gegenüber dem Opfer vor oder bei der sexuellen Handlung angewendet werden, jedoch nicht notwendig zu deren Erzwingung. Die Anwendung von Gewalt gegenüber Dritten genügt nach dem eindeutigen Wortlaut nicht. Es kann indes ein Fall des § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB vorliegen, wenn der Täter sich gegen schutzbereite Dritte wendet. Ein Finalitätserfordernis besteht nicht mehr (so ausdrücklich BGH, Beschl. v. 10.10.2018 – 4 StR 311/18, StRR 2019, Nr. 3, 2 = NJW 2019, 1010, 1011 ff. unter Bezugnahme auf den Wortlaut, der – anders als noch § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. – nicht den Einsatz von Gewalt als Nötigungsmittel voraussetzt, sowie daneben auf den in den Gesetzgebungsmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, systematische und teleologische Erwägungen). Entsprechend sollte auch „sexueller Übergriff mit Gewalt” tenoriert werden (so zu Recht BGH, a.a.O., NJW 2019, 1010, 1011 ff.), aufgrund des nicht mehr erforderlichen Finalzusammenhangs nicht hingegen „sexuelle Nötigung” (so aber BGH, Beschl. v. 14.11.2018 – 3 StR 464/18; BGH, Urt. v. 17.2.2021 – 2 StR 294/20).
Erforderlich ist eine Kraftentfaltung, die vom Opfer als körperlicher Zwang empfunden wird, beispielsweise wenn der Täter das Opfer an den Armen festhält und dessen Beine auseinanderdrückt (BGH, Urt. v. 15.7.2020 – 6 StR 7/20, NStZ 2020, 312, 312), das Opfer in einen Raum einsperrt (BGH, Beschl. v. 10.10.2018 – 4 StR 311/18, NStZ 2019, 516, 518) oder ihm K.O.-Mittel verabreicht (BGH, Beschl. v. 24.5.2016 – 5 StR 163/16). Die bloße Körperlichkeit, die der sexuellen Handlung innewohnt, genügt hingegen nicht (BGH, Urt. v. 30.3.2016 – 2 StR 405/15, NStZ-RR 2016, 202, 203: keine Gewalt durch Penetration als solche).
Hinweis:
Gewalt zur Luststeigerung hingegen, beispielsweise wenn der Täter das Opfer zum Zwecke der eigenen Erregung schlägt (Hoven, NStZ 2020, 578, 580) oder in die Brust beißt (LG Hamburg, Urt. v. 29.8.2016 – 617 KLs 11/16 jug), ist von § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB erfasst.
§ 177 Abs. 5 Nr. 2 StGB stellt eine Qualifikation zu § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB dar (BGH, Beschl. v. 2.7.2019 – 2 StR 130/19) und setzt eine qualifizierte Drohung voraus, nämlich eine Drohung gegenüber dem Opfer mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben. Aus der zusammenhängenden Formulierung „Leib oder Leben” folgt, dass nicht jede in Aussicht gestellte Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit genügt, sondern diese von einer gewissen Schwere sein muss (Schönke/Schröder/Eisele, § 177 Rn 80 m.w.N.).
Eine – konkrete – schutzlose Lage des Opfers i.S.d. § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB besteht, wenn sich dieses bei objektiver Betrachtung unter Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls aus physischen, psychischen oder sonstigen Gründen nicht selbst verteidigen und auch keine Hilfe Dritter erlangen kann, sodass es dem ungehemmten Einfluss des Täters ausgesetzt ist (st. Rspr., s. nur BGH, Urt. v. 2.7.2020 – 4 StR 678/19, NStZ 2020, 662, 663, dem zufolge nach der neuen Rechtslage nicht mehr erforderlich ist, dass das Opfer selbst die Schutzlosigkeit seiner Lage erkennt und unter dem Eindruck seines Ausgeliefertseins aus Furcht vor einer möglichen Einwirkung des Täters auf einen ihm grds. möglichen Widerstand verzichtet). Der Annahme der schutzlosen Lage muss eine eigenständige Bedeutung zukommen; diese geht nicht allein in der vom Täter gegenüber dem Opfer ausgeübten Gewalt oder Drohung auf (BGH, Beschl. v. 14.1.2021 – 1 StR 476/20). Auch allgemeine Lebenssituationen wie eine Ehe, ein Arbeitsverhältnis oder eine Mitgliedschaft in einer Organisation reichen nicht ohne Weiteres zur Begründung einer schutzlosen Lage aus. Eine schutzlose Lage ergibt sich insb. nicht bereits aus dem Umstand, dass sich der Täter und das Opfer allein in der Tatwohnung befinden, selbst wenn die Beziehung der Beteiligten durch eine besondere ...