Seit Jahren wird von verschiedenen Seiten die Einführung sog. Commercial Courts gefordert, um den Justizstandort Deutschland mit Blick auf internationale Wirtschaftsstreitigkeiten attraktiver zu machen. Jetzt hat das Bundeskabinett der Einführung dieser spezialisierten Spruchkörper ihren Segen gegeben: Mitte August hat die Regierung den vom Bundesjustizministerium erarbeiteten Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Justizstandorts Deutschland beschlossen.
Das geplante Gesetz sieht vor, den Bundesländern zu ermöglichen, für bestimmte Wirtschaftsstreitigkeiten neue Spruchkörper an ausgewählten Landgerichten - sog. Commercial Chambers - einzurichten. Das Verfahren vor diesen Kammern, einschließlich der Entscheidung, soll vollständig in englischer Sprache geführt werden können, wenn sich die Parteien hierüber einig sind oder die beklagte Partei dem zumindest nicht widerspricht.
Für große privatrechtliche Wirtschaftsstreitigkeiten ab einem Streitwert von 1 Mio. EUR sollen die Bundesländer zudem erstinstanzliche Spezialsenate bei ihren Oberlandesgerichten einrichten dürfen (sog. Commercial Courts). Auch hier kann das Verfahren vollständig in englischer Sprache stattfinden. Besetzt werden sollen die Commercial Courts mit spezialisierten Richterinnen und Richtern, die über sehr gute Sprachkompetenzen verfügen und „Zugriff auf moderne technische Ausstattung” in den Gerichten haben. Gegen die erstinstanzlichen Entscheidungen der Commercial Courts soll die Revision zum BGH stets zulässig sein. Eine umfassende Verfahrensführung in englischer Sprache soll - im Einvernehmen mit dem zuständigen Senat - auch in der Revision möglich sein.
Geschäftsgeheimnisse der beteiligten Unternehmen will die Regierung hierbei künftig besser und umfassender schützen als bisher; so sollen geheimhaltungsbedürftige Informationen außerhalb des gerichtlichen Verfahrens nicht genutzt oder offengelegt werden dürfen.
Bislang ist die deutsche ordentliche Gerichtsbarkeit für große Unternehmen mit Blick auf grenzüberschreitende juristische Auseinandersetzungen nur mäßig interessant. Die Bundesregierung verspricht sich deshalb von dem neuen Vorhaben, dass der Gerichtsstandort Deutschland international an „Anerkennung und Sichtbarkeit” gewinnen wird; insb. deutsche Unternehmen mit starker Exportorientierung sollen davon profitieren können. Bundesjustizminister Marco Buschmann erläuterte das Vorhaben wie folgt: „Bislang erschwert der dreistufige Instanzenzug zügige rechtskräftige Entscheidungen und es gibt nur begrenzte Möglichkeiten für eine Verhandlungsführung in englischer Sprache. Das wollen wir ändern: Mit einem an den Bedürfnissen der Parteien orientierten, schnellen und effizienten Gerichtsverfahren werden wir den Wettbewerb mit anerkannten ausländischen Wirtschafts- und Schiedsgerichten aufnehmen und den Justizstandort Deutschland auch international nachhaltig stärken.”
Manche Wirtschaftsjuristen bezweifeln allerdings, ob das Kalkül aufgeht. Sie verweisen darauf, dass sich bei Rechtswahl und Gerichtsstand i.d.R. der stärkere Vertragspartner durchsetzt und nicht das „bessere Recht” oder der „bessere Justizstandort”. Trotz der künftig etwas attraktiveren Verfahrensmöglichkeiten in Deutschland würden Schiedsvereinbarungen nach wie vor meist die bessere Wahl für die international tätigen Unternehmen bleiben, zumal Schiedssprüche dank der New York Convention in sehr viel mehr Ländern der Welt vollstreckbar seien als Entscheidungen nationaler Gerichte. Das neue Gesetz zur Stärkung des Justizstandorts Deutschland werde im Ergebnis also nicht viel gegenüber der derzeitigen Situation ändern, so die Prognose der Kritiker.
[Red.]