a) Fiktive Einkommensermittlung
Wenn ein Unterhaltspflichtiger unter Verletzung seiner gebotenen Obliegenheit keiner Arbeit nachgeht, ist ein erzielbares Einkommen fiktiv anzusetzen.
Das OLG Hamm (Beschl. v. 27.11.2023 – 4 UF 80/23, FamRZ 2024, 933 = MDR 2024, 377) geht davon aus, dass bei einem ungelernten Arbeitnehmer, für den eine gem. § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB gesteigerte Erwerbsobliegenheit besteht, i.d.R. der Mindestlohn zugrunde zu legen ist. Das gilt aber dann nicht, wenn eine bestimmte Tätigkeit über längere Zeit ausgeübt worden ist und dort nachhaltig über den Mindestlohn hinausgehendes Einkommen erzielt worden ist. Im Rahmen der fiktiven Berechnung des unterhaltsrelevanten Einkommens ist von einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden auszugehen. Daneben kann eine fiktive Nebentätigkeit von wöchentlich bis zu acht Stunden angesetzt werden.
b) Verschuldung des Unterhaltspflichtigen
Das OLG Hamm (Beschl. v. 11.12.2023 – 4 UF 141/22, FamRZ 2024, 438) stellt klar, dass Verbindlichkeiten zwar die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen mindern können (§ 1603 Abs. 1, § 1581 S. 1 BGB). Es sind hierbei aber die Interessen des Berechtigten, den Unterhalt ungekürzt zu erhalten und diejenigen des Pflichtigen an zeitnaher Tilgung gegeneinander abzuwägen. Wichtige Gesichtspunkte sind Zweck der Verbindlichkeiten, der Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Dringlichkeit der beiderseitigen Bedürfnisse, die Kenntnis des Unterhaltsschuldners von Grund und Höhe seiner Unterhaltspflicht und seine Möglichkeiten, seine Leistungsfähigkeit ganz oder teilweise wiederherzustellen. Beim Kindesunterhalt gilt ein strengerer Maßstab als beim Ehegattenunterhalt.
Ist der Mindestunterhalt nicht gedeckt, hat der Schuldner nach allgemeiner Ansicht nur einen Anspruch darauf, dass seine Verschuldung nicht wächst., so dass Tilgungsraten teilweise nicht berücksichtigt werden. Zudem muss sich der Schuldner intensiv um eine Tilgungsstreckung bemühen. Wenn er nicht im Einzelfall die Unzumutbarkeit darlegt, ist er grds. verpflichtet zur Deckung des Unterhaltsbedarfs minderjähriger Kinder ein Verbraucherinsolvenzverfahren einzuleiten. Vorteile und Nachteile des Insolvenzverfahrens sind dabei unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles gegeneinander abzuwägen.
c) Umschulungsmaßnahme
In Anlehnung an eine Entscheidung des BGH (FamRZ 2011, 10141) hat das OLG Brandenburg (Beschl. v. 20.9.2023 – 13 UF 67/23, FamRZ 2024, 521 = FuR 2024, 99) eine zur vorübergehenden Leistungsunfähigkeit führende Umschulung nur in einem Ausnahmefall für gerechtfertigt erachtet (hier: bejahte Obliegenheit eines arbeitslosen Kochs den erlernten Beruf wieder aufzunehmen statt Umschulung zum Pflegehelfer). Die Aufnahme einer Umschulungsmaßnahme kann in Abwägung der individuellen Interessen gerechtfertigt sein, wenn sich die Einkommensverhältnisse nach Beendigung der Umschulung deutlich verbessern und der Aufnahme des erlernten Berufes gesundheitliche Beeinträchtigungen entgegenstehen.
d) Corona-Bonus-Zahlungen
Das OLG Hamm (2024, a.a.O.) vertritt die Auffassung, dass Corona-Bonus-Zahlungen als erhöhtes Kindergeld einzustufen sind und auf das Kindergeld nach § 1612b Abs. 1 BGB unmittelbar anzuwenden sind mit der Folge, dass der Kindesbonus wie das Kindergeld hälftig zugunsten des unterhaltspflichtigen Elternteils zu berücksichtigen ist. Dies gilt auch dann, wenn übergeleitete Unterhaltsansprüche nach dem Unterhaltsvorschussgesetz geltend gemacht werden und der Corona-Bonus im Rahmen der Unterhaltsberechnung nicht berücksichtigt worden ist.