Mit der aktuellen Entscheidung war nunmehr § 57 Abs. 4 SchulG NW auf dem Prüfstand. Satz 1 der Vorschrift lautet:
Zitat
"Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen, weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören."
Das BVerfG formulierte dazu folgenden zweiten Leitsatz:
Zitat
"Ein landesweites gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen (hier: nach § 57 Abs. 4 SchulG NW) durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule ist unverhältnismäßig, wenn dieses Verhalten nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Ein angemessener Ausgleich der verfassungsrechtlich verankerten Positionen – der Glaubensfreiheit der Lehrkräfte, der negativen Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Schülerinnen und Schüler sowie der Eltern, des Elterngrundrechts und des staatlichen Erziehungsauftrags – erfordert eine einschränkende Auslegung der Verbotsnorm, nach der zumindest eine hinreichend konkrete Gefahr für die Schutzgüter vorliegen muss."
Zur Begründung wird u.a. ausgeführt (Rn. 111 Entscheidungsgründe):
Zitat
"Danach sind etwa christliche Bezüge bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht ausgeschlossen; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein (vgl. BVerfGE 41, 29 [51]; 52, 223 [236 f.]). Weil Bezüge zu verschiedenen Religionen und Weltanschauungen bei der Gestaltung der öffentlichen Schule möglich sind, ist für sich genommen auch die bloß am äußeren Erscheinungsbild hervortretende Sichtbarkeit religiöser oder weltanschaulicher Zugehörigkeit einzelner Lehrkräfte – unabhängig davon, welche Religion oder Weltanschauung im Einzelfall betroffen ist – durch die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität nicht ohne weiteres ausgeschlossen. In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität (vgl. BVerfGE 41, 29 [50])."
Hinweis:
Diese Entscheidung ist ebenso wie die Entscheidung aus dem Jahre 2003 nicht einstimmig gefällt worden.
In dem zu dieser Entscheidung ergangenen lesenswerten Sondervotum (Rn. 2) heißt es:
Zitat
"Die vom Senat geforderte einschränkende Auslegung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW dahin, dass nur eine hinreichend konkrete Gefahr für den Schulfrieden und die staatliche Neutralität ein Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagogen zu rechtfertigen vermag, wenn es um die Befolgung eines imperativ verstandenen religiösen Gebots geht, misst den zu dem individuellen Grundrecht der Pädagogen gegenläufigen Rechtsgütern von Verfassungsrang bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu geringes Gewicht bei. Sie vernachlässigt die Bedeutung des staatlichen Erziehungsauftrags, der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu erfüllen ist, sowie den Schutz des elterlichen Erziehungsrechts und der negativen Glaubensfreiheit der Schüler. Damit beschneidet der Senat zugleich in nicht akzeptabler Weise den Spielraum des Landesschulgesetzgebers bei der Ausgestaltung des multipolaren Grundrechtsverhältnisses, das gerade die bekenntnisoffene öffentliche Schule besonders kennzeichnet. Der Senat entfernt sich so auch von den Maßgaben und Hinweisen der sogenannten Kopftuch-Entscheidung des Zweiten Senats vom 24. September 2003 (BVerfGE 108, 282), die dem Landesschulgesetzgeber gerade für den Bereich der öffentlichen Schule die Aufgabe zuschreibt, gesetzlich zu regeln, inwieweit er religiöse Bezüge in der Schule zulässt oder wegen eines strikteren Neutralitätsverständnisses aus der Schule heraushält."
Eindeutiger lässt sich die Ablehnung kaum formulieren. Der 1. Senat weicht deutlich von der Rechtsprechung des 2. Senats ab, ohne die Gründe dafür hinreichend kenntlich zu machen. Er ist schlicht in den Details der Rechtsgüterzuordnung anderer Ansicht.
Das ist nachvollziehbar – doch eigentlich wäre dann eine gemeinsame Streitentscheidung des gesamten Gerichts geboten (§ 16 BVerfGG). Mit allerlei Kniffen, einer Normverwerfung im Gewande einer verfassungskonformen Interpretation, will der 1. Senat dem entgehen – und beschädigt so die rechtsstaatlich gebotene Orientierungssicherheit für die Politik (Heinig, Kurswechsel in der Kopftuchfrage: nachvollziehbar, aber mit negativen Folgewirkungen, Verfassungsblog, 2015/3/13, www.verfassungsblog.de/kurswechsel-in-der-kopftuchfrage-nachvollziehbar-aber-mit-negativen-folgewirkungen/ ).
Angesichts der Entscheidung des 2. Senats aus dem Jahr 2003 irritiere der Eindruck, es hier nicht mit zwei Senaten, ...