I. Vorbemerkung
Über keine Versicherungssparte wird so kontrovers diskutiert wie über die Rechtsschutzversicherung: Die Argumentation reicht von der Forderung, Rechtsschutzversicherungen zu verbieten, wie es bis vor einigen Jahren noch in Großbritannien der Fall war, bis zu der Forderung, die Rechtsschutzversicherung als allgemeine Pflichtversicherung einzuführen (Harbauer/Bauer, ARB, 8. Aufl., Einleitung ARB 2000 Rn 48 m.w.N.; Adams, Ökonomische Analyse des Zivilprozesses, 1982). Der Autor hat sich bereits auf dem Anwaltstag 1993 mit dieser Problematik befasst (Anwaltschaft + Rechtsschutzversicherung = Prozessflut?, AnwBl 1993, 555 ff.) – die damaligen Überlegungen sind heute noch aktuell und werden durch die Rechtswirklichkeit bestätigt.
II. Empirische Untersuchungen
Alle empirischen Untersuchungen haben zu dem Ergebnis geführt, dass Rechtsschutzversicherte sich kaum anders verhalten als Nichtversicherte. Professor Blankenburg und Rechtsanwalt Fiedler sind in ihrer Untersuchung "Der steigende Geschäftsanfall der Gerichte" (Blankenburg/Fiedler 1982) zu den für sie selbst überraschenden Ergebnissen gekommen, dass Rechtsschutzversicherte im Durchschnitt kein größeres Prozessrisiko eingehen als Nichtversicherte und auch keineswegs "hartnäckiger" prozessieren. Aus der Untersuchung ergibt sich weiterhin, dass die anwaltliche Beratung und die vorgerichtliche Tätigkeit von Rechtsanwälten bei Versicherten eher und intensiver erfolgen; auch Rechtsschutzversicherte wollen nach Möglichkeit einen Rechtsstreit vermeiden.
Die vorgenannte Untersuchung wurde etwa fünf Jahre später von Rechtsschutzversicherern intern wiederholt, und zwar mit dem gleichen Ergebnis (Blankenburg DAR 1990, 2 ff.). Die gleichen Feststellungen macht das Institut für freie Berufe an der Universität Erlangen/Nürnberg mit einer "Analyse Streitverhütung durch Rechtsanwälte" (1989). Da aber nicht sein kann, was nicht sein darf, hat das Bundesjustizministerium ein inhaltlich gleiches Forschungsvorhaben an die Universität Gießen vergeben. Auch diese Untersuchung bestätigt die vorgenannten Ergebnisse (Jagodzinski/Raiser/Riehl, Rechtsschutzversicherung und Rechtsverfolgung, 1994). Aktuelle Untersuchungen gibt es zurzeit nicht, zumal die Entwicklung bei Justiz, Anwaltschaft und Rechtsschutzversicherungen die früheren Ergebnisse bestätigt. Eine übermäßige Belastung der Gerichte durch Rechtsschutzversicherungen findet somit nicht statt. Es handelt sich um ein Vorurteil durch selektive Wahrnehmung, krasse Ausnahmefälle werden verallgemeinert und dienen der Bestätigung eines bereits vorhandenen Vorurteils.
III. Statistik
Die aktuelle Statistik über den Geschäftsanfall der Gerichte und die Verbreitung der Rechtsschutzversicherungen sowie die Anzahl der Rechtsanwälte widerlegen eindeutig das Vorurteil, Rechtsschutzversicherer würden Gerichte über Gebühr belasten. Obgleich sich die Anzahl der Rechtsanwälte in den letzten 25 Jahren ebenso vervielfacht hat wie das Prämienaufkommen der Rechtsschutzversicherer, sind die Eingangszahlen bei den Amts- und Landgerichten seit 25 Jahren nahezu unverändert, in einigen Bereichen sogar rückläufig.
Kalenderjahre |
Neuzugänge LG/Zivilsachen (ohne Familiensachen) |
Neuzugänge AG/Zivilsachen (ohne Familiensachen) |
Neuzugänge AG/Bußgeldsachen |
Anzahl zugelassener RA |
Bruttobeitragseinnahmen der RS-Versicherung (in Mrd. EUR) |
1980 |
346.986 |
932.692 |
487.597 |
36.077 |
0,840 |
1990 |
359.102 |
1.198.782 |
344.649 |
56.638 |
1,631 |
2000 |
415.036 |
1.452.245 |
366.397 |
104.067 |
2,690 |
2001 |
402.682 |
1.421.404 |
345.271 |
110.367 |
2,707 |
2002 |
412.924 |
1.443.584 |
352.519 |
116.305 |
2,727 |
2003 |
426.829 |
1.500.905 |
369.360 |
121.420 |
2,827 |
2004 |
439.974 |
1.498.767 |
387.529 |
126.793 |
2,924 |
2005 |
424.525 |
1.499.724 |
405.522 |
132.569 |
3,014 |
2006 |
381.014 |
1.314.738 |
382.716 |
138.104 |
3,066 |
2007 |
373.331 |
1.263.012 |
382.911 |
142.830 |
3,158 |
2008 |
366.267 |
1.272.658 |
366.736 |
146.910 |
3,204 |
2009 |
368.692 |
1.243.951 |
376.774 |
150.377 |
3,206 |
2010 |
372.150 |
1.213.093 |
391.460 |
153.251 |
3,248 |
2011 |
372.605 |
1.199.758 |
383.070 |
159.679 |
3,331 |
2012 |
355.623 |
1.150.663 |
357.863 |
158.426 |
3,343 |
2013 |
358.792 |
1.138.419 |
347.667 |
160.880 |
3,416 |
2014 |
332.044 |
1.107.028 |
351.571 |
162.695 |
3,560 |
IV. Bedeutung der Rechtsschutzversicherung
Das Prämienaufkommen der Rechtsschutzversicherungen belief sich im Kalenderjahr 2014 auf rd. 3,5 Mrd. Euro, die Leistungen auf 2,7 Mrd. Euro. Die frühere Unterscheidung bei den Leistungen zwischen Rechtsanwalts- und Gerichtskosten wird statistisch nicht mehr vorgenommen, so dass das Verhältnis zwischen Rechtsanwalts- und Gerichtskosten nur überschlägig nach früheren Zahlen geschätzt werden kann. Es dürften etwa 2 Mrd. Euro Anwaltshonorare gezahlt werden, während 700 Mio. Euro auf Gerichtskosten entfallen. Auch die Staatskasse profitiert somit von den Rechtsschutzversicherungen, da eine Vielzahl der von Rechtsschutzversicherungen finanzierten Prozesse im Wege der Prozesskostenhilfe hätte geführt werden müssen. Rechtsschutzversicherungen ermöglichen es, auch risikoreiche Prozesse gegen Banken, Versicherungen und Großunternehmen zu führen. Sie sind somit ein wesentlicher Bestandteil der Verwirklichung der Rechtsweggarantie, z.B. im Bereich ...