Durch das 50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung – vom 4.11.2016 (BGBl I, S. 2460) ist das Sexualstrafrecht neu geregelt worden (vgl. dazu Burhoff StRR 4/2017, 6 ff.). Zu den mittelbaren Auswirkungen dieser Neuregelung auf andere Tatbestände, vor allem aber auf den Begriff der "Erheblichkeit" der sexuellen Handlung, hat der BGH im Beschluss vom 26.4.2017 (2 StR 574/16, StraFo 2017, 285 = StRR 7/2017, 3) Stellung genommen. Das LG hatte den Angeklagten u.a. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt. Dazu hat es festgestellt, dass der Angeklagte während eines Besuchsaufenthalts seiner Tochter in seiner Wohnung am 30.1.2016 mit einer Hand in den Schlafsack seines am 19.6.2008 geborenen, mit einem T-Shirt und einer Unterhose bekleideten Kindes griff und die Hand in der Absicht, sich sexuell zu erregen, über ihrer Unterhose bis einige Zentimeter oberhalb ihres Genitalbereichs führte und seine Tochter dort streichelte. Das LG hat das als Vergehen gem. § 174 Abs. 1 Nr. 3 in Tateinheit mit § 176 Abs. 1 StGB bewertet. Dagegen hat der Angeklagte Revision eingelegt, die keinen Erfolg hatte.
Nach Auffassung des BGH (a.a.O.) bedarf nur die Frage einer näheren Erörterung, ob eine sexuelle Handlung von einiger Erheblichkeit i.S.d. § 184h Nr. 1 StGB vorlag. Als erheblich seien – so der BGH – solche sexualbezogenen Handlungen zu werten, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen (vgl. etwa BGHSt 29, 336, 338; BGH NJW 1992, 324; NStZ 2012, 269, 270; NStZ-RR 2017, 43, 44). Dazu bedürfe es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus. Bei Tatbeständen, die Kinder und Jugendliche schützen, seien ggf. weniger strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. BGH a.a.O.). Letztlich seien aber auch beim Schutz der sexuellen Selbstbestimmung von Kindern (§ 176 StGB) nicht sämtliche sexualbezogenen Handlungen, die sexuell motiviert seien, tatbestandsmäßig. Auszuscheiden seien vielmehr kurze oder aus anderen Gründen unbedeutende Berührungen (vgl. BGH a.a.O.). Auf dieser Grundlage hat der BGH (Beschl. v. 26.4.2017 – 2 StR 574/16, StraFo 2017, 285 = StRR 7/2017, 3) für die sexuellen Handlungen des Angeklagten zum Nachteil seiner zur Tatzeit erst siebeneinhalbjährigen Tochter die Erheblichkeit bejaht. Das folge aus der Tatbegehung in der besonderen Beziehung zwischen Vater und Tochter, aus dem deutlich unter der Schutzaltersgrenze liegenden Alter des Kindes zur Tatzeit, aus der Art der sexuellen Handlung und aus den Begleitumständen, wie der Tatsache, dass das Kind situativ in eine nachfolgende Tat zum Nachteil der Zwillingsschwester einbezogen worden sei. Der BGH (a.a.O.) stellt sodann fest, dass die Gesetzesänderungen durch das 50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung – vom 4.11.2016 (BGBl I, S. 2460) keinen Anlass zu einer für den Angeklagten günstigeren Bewertung als milderes Recht i.S.v. § 2 Abs. 3 StGB geben. Die Einführung eines Auffangtatbestands für belästigend wirkende körperliche Berührungen in sexuell bestimmter Weise in § 184i StGB wirke sich nicht auf die Auslegung des Begriffs der Erheblichkeit in § 184h Nr. 1 StGB aus. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung des § 184i StGB nicht bezweckt, bisher von § 184h Nr. 1 StGB erfasste Verhaltensweisen aus dem Schutzbereich herauszulösen und diese nunmehr nur noch unter den in § 184i StGB genannten Voraussetzungen unter Strafe zu stellen. Ziel der Neuregelung sei es vielmehr, bisher strafrechtlich nicht erfasstes Verhalten auch unterhalb der Schwelle des § 184h Nr. 1 StGB zu pönalisieren (BT-Drucks 18/9097, S. 29). Ein Einfluss auf die Auslegung des § 184h Nr. 1 StGB ergebe sich auch nicht dadurch, dass die Rechtsprechung bei der Prüfung der Erheblichkeit der sexuellen Handlung auf eine nach Art, Intensität und Dauer sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts abstelle, womit bisher eine Abgrenzung zwischen strafbarem und straflosem Verhalten verbunden war, nunmehr aber nur noch eine solche zwischen Tatbeständen gem. §§ 174, 176, 177 StGB einerseits und demjenigen des § 184i StGB andererseits vorzunehmen sei. Denn dieser Begriff der "sozial nicht mehr hinnehmbaren Beeinträchtigung" beziehe sich auf andere, weiterreichende Rechtsgüter als dasjenige, das von § 184i StGB geschützt sei.
Hinweis:
Der BGH (a.a.O.) verneint diese Auswirkungen der Neuregelung auf "Altfälle" m.E. überzeugend. In der Literatur ist das zum Teil anders gesehen worden (vgl. El Ghazi ZIS 2017, 157, 160 f.; Lederer AnwBl. 2017, 514, 517 f.).