aa) Auswahl des Sachverständigen
Dass die formale Sachkompetenz des Sachverständigen (§ 404 Abs. 3 ZPO) ebenso wie formale Standards einzuhalten ist und der Sachverständige nicht befugt ist, die Gutachtenerstellung zu delegieren (§ 407a Abs. 3 ZPO) erscheint als Selbstverständlichkeit; genauso, wie die vollständige und richtige Ermittlung und Verwertung von Befundtatsachen.
Weiter ist zu beachten, dass der Sachverständige nur Tatsachen feststellen, nicht aber rechtliche Wertungen (z.B. grobe Fahrlässigkeit, Vorsatz, grober Behandlungsfehler etc.) vornehmen darf und seine Schlussfolgerungen schlüssig und nachvollziehbar sein müssen.
Dennoch ist einerseits zu wenig bekannt, dass der Sachverständige nicht nur über eine allgemeine, sondern auch die spezielle Sachkunde zur Beantwortung der Tatsachenfragen verfügen muss (allein im Bauwesen gibt es aber z.B. 48 Spezialgebiete, vgl. Bayerlein/Grossam, a.a.O., § 13 Rn 13). Die pauschale Ernennung eines Instituts für Rechtsmedizin zum Gutachter, ist damit kaum gangbar (vgl. Doukoff, a.a.O., Rn 679). Auch ist der Grundsatz aus dem Arzthaftungsrecht zu wenig bekannt, dass der Sachverständige aus dem Fachgebiet des beklagten Arztes zu wählen ist (vgl. BGH NJW 2009, 1209 f.).
bb) Sind die Literaturverweise in gerichtlichen Gutachten nachvollziehbar?
In bestimmten Fachgebieten (z.B. in psychologischen Gutachten, teils auch in medizinischen Gutachten) gehört es offenbar zum Standard, Literaturquellen nur mit dem Namen des Autors und dem Titel der Publikation zu zitieren, nicht aber mit der dazugehörigen Seitenzahl. Das wird in der Praxis weitgehend akzeptiert. Sogar psychologische Gutachten, die für den BGH erstellt werden, beinhalten diese Zitierweise (vgl. das Gutachten von Fiedler/Schmid, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, Heft 2, S. 5 ff.).
Das ist aber nicht zu akzeptieren. Richtig ist daher: "Es ist völlig unerlässlich, dass entsprechend den allgemein anerkannten wissenschaftlichen Standards die Quelle an der Stelle des Gutachtens, wo auf sie verwiesen werden soll, exakt zitiert wird und genau diese Quelle in Ablichtung beigefügt wird. Letzteres sollte dem Sachverständigen bereits bei der Beauftragung aufgegeben werden" (Jansen r+s 2015, 161, 164; ebenso Doukoff, a.a.O., Rn 681).
Praxishinweis:
Die Einhaltung bzw. Nichteinhaltung der formalen Standards wird kaum gerügt, obwohl gerade diese die oberflächliche Bearbeitung und rückständiges Wissen offenbaren würden. Der anwaltliche Vertreter sollte daher gezielt nachfragen, wenn er die Literaturbelege ohne genaue Seitenangabe nicht – oder nur mühsam – nachvollziehen kann.
cc) Hat der Sachverständige das Gutachten selbst erstellt?
Nach § 407a Abs. 3 ZPO darf der Sachverständige die Erstellung des Gutachtens nicht delegieren. Der Praktiker wird jedoch vom Ergebnis her denken: Ist er mit dem Ergebnis des Gutachtens einverstanden, wird er kaum inhaltliche/formale Mängel rügen. Ist er mit dem Ergebnis jedoch nicht einverstanden, bietet ggf. eine vorgenommene Delegation des Sachverständigen einen Weg, die Unverwertbarkeit des Gutachtens herbeizuführen. Prägnant sind die Ausführungen von Kniffka hierzu:
Zitat
"Der Sachverständige kann Gehilfen für unterstützende Dienste heranziehen. Den Kernbereich der Begutachtung muss er selbst vornehmen. Dagegen wird häufig verstoßen und zwar in allen Fachbereichen. Die ernannten Gutachter zeichnen dann nur ab. In der mündlichen Verhandlung erbitten sie bisweilen sogar die Erlaubnis, von ihrem Gehilfen, der in Wahrheit das Gutachten erstattet hat, vertreten oder zumindest begleitet zu werden. Zu Recht wird empfohlen, in diesen Fällen den Gutachter ohne Honorar zu entlassen (Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 404 Rn 1a). Diese Empfehlung lässt allerdings die Gutachter kalt, weil ihr in der Praxis nicht gefolgt wird. Der Richter ist froh, dass er ein Gutachten hat. Er ist nicht geneigt, den Prozess zu verlängern, weil ein Gehilfe das Gutachten erstattet hat. Das ist zwar verfahrenswidrig, jedoch auch Tribut an den Erledigungsdruck. Fehler des Gutachters werden deshalb nicht mit der erforderlichen Schärfe geahndet, weil das den Prozess weiter verzögern und noch mehr Kosten verursachen würde. Hier fehlt es offenbar an geeigneten Sanktionsmitteln, die das gesetzeswidrige Verhalten unattraktiv machen" (Kniffka, a.a.O., S. 128).
Hinweis:
Da das Gericht einen Beweisbeschluss jederzeit auch konkludent ändern kann (§ 360 S. 2 ZPO), bleibt die Möglichkeit, das von der falschen Person erstattete Gutachten dennoch zu verwerten.
In diesem Fall sollte der anwaltliche Vertreter Folgendes beachten: "Solange das Gericht nicht eindeutig zu erkennen gibt, daß es seinen Beweisbeschluß geändert hat, und sich zu den Rügen der Partei zur Person des Gutachters und zu dessen Ausführungen nicht geäußert hat, läuft sein Verfahren letztlich auf eine unzulässige (heimliche) Änderung des Beweisbeschlusses und dabei auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs hinaus" (BGH NJW 1985, 1399 [Rn 21 a.E.]).
Praxishinweis:
Damit die Entscheidung auf diesem Gehörsverstoß auch beruhen kann, ist zu empfehlen, nicht nur Einwendungen gegen die Person des tatsächlichen Verfassers des Gutachtens zu erheben,...