Angesichts des in diesem Herbst erneut zu erwartenden Anstiegs der Covid-Infektionszahlen (vgl. dazu auch die vorstehende Nachricht) will die Bundesregierung die Situation, dass Mediziner in den Kliniken aufgrund von knappen Ressourcen zu irgendeinem Zeitpunkt wählen müssen, wen sie prioritär behandeln und wen nicht, und damit über Leben und Tod von Patienten entscheiden (sog. Triage), jetzt gesetzlich regeln. Sie kommt damit auch einem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nach, das im vergangenen Jahr entschieden hatte, dass der Staat die Pflicht hat, bestimmte besonders schutzbedürftige Gruppen von Menschen, insb. Behinderte, vor einer Benachteiligung zu schützen; bei einer Zuteilung knapper intensivmedizinischer Ressourcen müsse, so die Verfassungsrichter, der Gesetzgeber die maßgebenden Kriterien selbst vorgeben und entsprechende Schutzvorkehrungen treffen (vgl. hierzu Anwaltsmagazin ZAP 2022, 52).
Um diese Schutzpflicht umzusetzen, wird nun eine Regelung ins Infektionsschutzgesetz eingefügt, die die betroffenen Patientinnen und Patienten vor Diskriminierung schützt und gleichzeitig für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte Rechtssicherheit schafft. Dies sieht der Ende August 2022 vom Bundeskabinett verabschiedete Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes vor. Die neue Regelung gilt zwar ausnahmslos für alle intensivmedizinisch behandelten Patientinnen und Patienten. Sie bezieht sich ausschließlich auf Situationen, in denen die Behandlungskapazitäten auf den Intensivstationen aufgrund einer übertragbaren Krankheit – wie der Corona-Pandemie – nicht ausreichen.
Die Entscheidung, wer intensivmedizinisch betreut wird, soll danach ausschließlich anhand des Kriteriums der „aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit” getroffen werden. Hingegen dürfen Kriterien wie Behinderung, Alter, die mittel- oder langfristige Lebenserwartung, der Grad der Gebrechlichkeit oder die Lebensqualität bei einer Zuteilungsentscheidung ausdrücklich nicht berücksichtigt werden. Intensivmedizinische Behandlungskapazitäten, die bereits zugeteilt worden sind, werden von der Zuteilungsentscheidung ausdrücklich ausgenommen. Sie stehen nach Auffassung der Bundesregierung nicht zur Disposition, solange eine intensivmedizinische Behandlung notwendig ist und dem Patientenwillen entspricht.
Der Sozialverband Deutschlands hat das Vorhaben bereits begrüßt, jedoch in einigen Punkten auch Kritik geübt. Positiv sieht er, dass die Situation der Triage künftig gesetzlich geregelt ist und dass darin ein explizites Benachteiligungsverbot enthalten sein wird. Kritisch sieht der Verband hingegen, dass sich die neue gesetzliche Regelung nur auf Knappheit von Behandlungskapazitäten aufgrund übertragbarer Krankheiten beschränkt. Zudem bemängelt er das Fehlen einer Meldepflicht für Kliniken und mahnt eine Evaluation der neuen Triagevorschriften an. Auch möchte er, dass tieferliegende Probleme endlich angegangen werden: So wünscht sich der Sozialverband eine Sensibilisierung beim Klinikpersonal für Diskriminierungsrisiken und den Abbau von Unsicherheiten und Vorurteilen im Umgang mit behinderten Menschen. Aus diesem Grund solle auch das Thema Aus- und Weiterbildung im Gesundheitswesen künftig eine größere Rolle spielen.
[Quellen: BMG/SoVD]