Seit Beginn der Pandemie Anfang 2020 wurde intensiv und mit unterschiedlichen Ergebnissen über die Auswirkungen der Pandemie auf Mietverhältnisse diskutiert. Dabei geht es v.a. um Gewerberaummietvehältnisse, da diese durch die Schließungsanordnungen besonders betroffen waren. Der BGH hat sich in mehreren Entscheidungen mit der Problematik beschäftigt. Danach führt die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Schließung eines Einzelhandelsgeschäfts nicht zu einem Mangel der Mietsache i.S.v. § 536 Abs. 1 S. 1 BGB. Dem Vermieter wird dadurch die vertraglich geschuldete Leistung zur Überlassung und Erhaltung der Mietsache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand auch nicht ganz oder teilweise unmöglich. Im Fall einer Geschäftsschließung, die auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beruht, kommt grds. ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB in Betracht. Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, verbietet sich eine pauschale Betrachtungsweise, wie z.B. die in der Literatur vorgeschlagene und manchen OLGs übernommene 50:50 Verteilung. Maßgeblich sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher sind auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat (BGH, Urt. v. 12.1.2022 – XII ZR 8/21, ZIP 2022, 174; MDR 2022, 147; NZM 2022, 99; GE 2022, 145; ZfIR 2022, 69; ZMR 2022, 198; WuM 2022, 204; NJW 2022, 1370; MietPrax-AK § 313 BGB Nr. 3 m. Anm. Börstinghaus; Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 2/2022 Anm. 1; Börstinghaus, LMK 2022, 800828; Hog, jurisPR-MietR 3/2021 Anm. 2; Kappus, NZM 2022, 106; Schultz, GE 2022, 124; Drasdo, NJW-Spezial 2022, 654; Burbulla, MietRB 2022, 44; Horst, ZAP F. 4 R, S. 1021; Burbulla, MDR 2022, 465; Eusani, ZMR 2022, 268; Sittner, NJW 2022, 1349; Herrlein, COVuR 2022, 156).
Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf in jedem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Eine Pauschalierung, wie häufig vertreten von 50:50, lehnt der BGH ausdrücklich ab.
In einer ersten Stufe müssen die konkreten Nachteile, die dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind, ermittelt werden.
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Dabei ist der konkrete Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung der konkreten Filiale maßgeblich und nicht der Konzernumsatz. |
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Zu berücksichtigen kann auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern. |
Anzurechnen sind aber alle finanziellen Vorteile, die der Mieter zum Ausgleich dieser pandemiebedingten Nachteile erlangt hat, da eine Überkompensation nicht erreicht werden darf.
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Hierzu zählen alle aus staatlichen Leistungen. Soweit diese aber als Darlehen gezahlt werden, hat keine Anrechnung zu erfolgen, da damit keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbuße erreicht wird. |
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Demgegenüber sind die Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen (dazu BGH, Urt. v. 26.1.2022 – IV ZR 144/21, NJW 2022, 872). |
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Offen ist zurzeit noch die Berücksichtigung von Nachholeffekten, also zusätzliche Erlöse nach Wiedereröffnung der Geschäfte und die Berücksichtigung von einem gesteigerten Online-Umsatz insb. bei Filialisten. |
- Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich.
- Schließlich sind bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.
Prozessual führt diese rechtliche Einordnung dazu, dass der Vermieter seinen Mietzahlungsanspruch auch im Urkundenverfahren geltend machen kann, da der Mieter die zuvor aufgeführten Tatsachen, die für die Abwägung maßgeblich sind, regelmäßig nicht mit den im Urkundsverfahren zulässigen Beweismitteln beweisen kann (BGH, Urt. v. 16.2.2022 – XII ZR 17/21, DWW 2022, 95; NZM 2022, 292; NJW 2022, 1370; MietPrax-AK § 313 BGB Nr. 4 m. Anm. Börstinghaus; Börstinghaus, jurisPR-BGHZivilR 7/2021 Anm. 2; Burbulla, MietRB 2022, 106; Börstinghaus, LMK 2022, 803916; Sittner, NJW 2022, 1349; Herlitz, jurisPR-MietR 10/2022 Anm. 1).
Praxistipp:
Das Urkundsverfahren ist für den Vermieter v.a. wegen der vorläufigen Vollstreckbarkeit des Vorbehaltsurteils vorteilhaft.
- Das Vorbehaltsurteil im Urkundsverfahren ist gem. § 708 Ziff. 4 ZPO ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Mieter ist nur zu gestatten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung gem. § 711 ZPO abzuwenden.
- Im normalen Zivilverfahren ist das Urteil gem. § 709 ZPO für den Vermieter nur nach Sicherheitsleistung durch ihn vorläufig vollstreckbar.