Grundsätzlich werden nach § 10 Abs. 1 Leistungen der Sozialen Entschädigung auf Antrag erbracht, soweit das Gesetz nichts Abweichendes regelt.
Nach Abs. 2 der Norm werden von Amts wegen erbracht die besonderen Leistungen im Einzelfall nach § 92 ff., mit Ausnahme der Leistungen nach § 94 (zur Förderung einer Ausbildung). Von Amts wegen können erbracht werden (Ermessensentscheidung) die in Abs. 3 der Bestimmung angeführten Leistungen. Weitere Differenzierungen enthält Abs. 4, wenn Geschädigte gesetzlich krankenversichert sind. Nach Abs. 5 genügt es für Leistungen in der Traumaambulanz bzw. bei Kontaktaufnahme des Fallmanagements, wenn der Antrag nach näherer Maßgabe der Vorschrift nachträglich gestellt wird und zwar unverzüglich nach der zweiten Sitzung.
Zur Zuständigkeit für die Antragstellung bei einer im Ausland begangenen Straftat s. § 10 Abs. 6. Die Vorschrift hat allerdings nur klarstellende Wirkung. Der Regelungsinhalt folgt bereits aus Art. 1, Art. 3 Abs. 1 der EU-RL 2004/80 v. 19.4.2004.
Hinweise:
- Der Antrag, als einseitige, empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung, setzt einmal das (nichtförmliche, § 9 SGB X) Verwaltungsverfahren in Gang (§§ 8, 18 SGB X) und hat zudem konstitutive bzw. materielle Wirkung hinsichtlich der Leistungsvoraussetzungen, s. § 11 Abs. 1. Formerfordernisse bestehen für die Antragstellung regelmäßig nicht, sodass, wenn keine Schriftform vorgeschrieben ist, auch (fern)mündlich und in Textform gestellte Anträge wirksam sind.
- Die Regelungen des BGB über Willenserklärungen sind auf den Antrag analog anwendbar, was aber nach einer Entscheidung des BSG im SGB II nur gilt, wenn eine solche Anwendung der Eigenart des Sozialrechts gerecht wird: Entgegen der Vorschrift des § 130 Abs. 1 S. 1 BGB – der auf Erklärungen gegenüber einer Behörde gem. § 130 Abs. 3 BGB Anwendung findet –, wonach eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber in dessen Abwesenheit abgegeben wird, (erst) in dem Zeitpunkt wirksam wird, in welchem sie ihm zugeht, ist der in den Abendstunden eines Freitags per E-Mail eingereichte Antrag auf Leistungen nach dem SGB II zugegangen, weil der Antrag in den Macht- oder Willensbereich der Behörde gelangt ist, ohne dass es auf die üblichen Dienstzeiten ankommt (BSG, Urt. v. 11.7.2019 – B 14 AS 51/18R Rn 19 ff.; hierzu Hengelhaupt, jurisPR-SozR, 24/2019 Anm. 1). Die Überlegungen des BSG dürften generell für alle Bücher des SGB gelten (KassKomm/Spellbrink, SGB I, § 16 Rn 10).
- Zur Bestimmung dessen, was von dem gestellten Antrag umfasst wird, ist dieser gem. §§ 133, 157 BGB analog auszulegen. Leistungsträger dürfen nicht nur auf den Wortlaut der Erklärung abstellen, sondern haben nach § 2 Abs. 2 Hs. 2 SGB I davon auszugehen, dass die Berechtigten alle die Leistungen begehren, die ihnen den größten Nutzen bringen können, unabhängig davon, welche Vordrucke sie benutzen oder welche Ausdrücke sie gewählt haben („Meistbegünstigungs- oder Günstigkeitsprinzip”, s. etwa BSG, Urt. v. 22.3.2010 – B 4 AS 62/09 R, juris Rn 14). Dieser aus § 2 Abs. 2 SGB I hergeleitete Grundsatz hat auch Auswirkungen auf das Verfahrensrecht, etwa bei der Aufklärungspflicht des Vorsitzenden nach § 106 Abs. 1 SGG (s. Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt/B. Schmidt, SGG, § 106 Rn 5a), oder der Verpflichtung des Vorsitzenden nach § 112 Abs. 2 S. 2 SGG dahin zu wirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden, ggf. unter Leistung von Formulierungshilfe (s. B. Schmidt, a.a.O., SGG, § 112 Rn 8). Der 2. Senat des BSG entnimmt der Vorschrift des § 2 Abs. 2 SGB I ein Gebot der Sozialrechtsoptimierung mit besonderer Bedeutung für das Verfahrensrecht (BSG, Urt. v. 16.3.2021 – B 2 U 17/19 R, juris Rn 29).
Zum Leistungsbeginn bestimmt § 11:
Antragsabhängige Leistungen sind grds. frühestens ab dem Monat der Antragstellung zu erbringen, § 11 Abs. 1.
Nach Abs. 2 werden für Zeiträume vor der Antragstellung Leistungen geschuldet, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach dem schädigenden Ereignis gestellt war. Wenn die anspruchsberechtigte Person ohne Verschulden an der Antragstellung verhindert war, verlängert sich diese Frist um den Zeitraum der Verhinderung.
Für Leistungen, die von Amts wegen erbracht werden, stellt Abs. 3 für den Beginn auf den Monat ab, in dem der zuständigen Behörde die der Leistung zugrunde liegenden Tatsachen bekannt geworden sind.
Sonderregelungen für Leistungen vor Antragstellung sieht § 11 Abs. 4 S. 2 vor für die Inanspruchnahme der ersten beiden Sitzungen in der Traumaambulanz sowie die Kontaktaufnahme des Fallmanagements mit möglicherweise berechtigten Personen, wobei nach Abs. 5 die auf die in Abs. 4 S. 2 genannten Leistungen anfallenden Kosten auch dann getragen werden, wenn Ansprüche nach dem SGB XIV nicht bestehen, auch nicht im Verfahren nach § 115.