1. Psychische Gesundheitsstörungen
§ 1 Abs. 1 verspricht die Verpflichtung zur Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen eines schädigenden Ereignisses. In der Vergangenheit haben sich Rspr. und Literatur schwer damit getan, eine psychische Erkrankung als durch ein schädigendes Ereignis hervorgerufen zu beurteilen und als Schädigungsfolge anzuerkennen. Lange Zeit wurden psychische Gesundheitsstörungen weitgehend als anlagebedingt und damit als nicht entschädigungsfähig bewertet (NK-Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht/Knickrehm, § 1 BVG Rn 21 m.w.N.). Im Zuge der Entwicklung der Diagnose-Klassifikationssysteme DSM (diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der amerikanischen psychiatrischen Vereinigung) und des ICD (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) wurden sie in die früheren „Anhaltspunkte” – heute Versorgungsmedizinische Grundsätze als Anlage zu § 2 Versorgung-Medizin-Verordnung auf Grundlage von § 5 Abs. 2 – aufgenommen.
Hinweis:
Nach der Rspr. des BSG handelt es sich bei den vorerwähnten Diagnosesystemen und den hierzu ergangenen konsensbasierten Begutachtungsrichtlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) um sog. generelle Tatsachen, die entgegen § 163 SGG auch ohne Rügen vom Revisionsgericht selbst zu überprüfen sind. Zu Grunde zulegen ist regelmäßig die jeweils letzte Auflage des Diagnosesystems mit dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand, wenn dieser nicht mehr allgemein angegriffen wird (BSG, Urt. v. 28.6.2022 – B 2 U 9/20 R). Das LSG Stuttgart hält hingegen bei der Überprüfung des Vorliegens einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) das aktuelle Diagnosesystem DSM-V (bereits 2003 in den USA veröffentlicht, seit 2004 in deutscher Übersetzung) für nicht valide und wendet das System IV an (so bereits Urt. v. 27.8.2015 – L 6 VS 4569/14 und Urt. v. 2.6.2022 – L 6 VG 2740/21). In seiner kritischen Anmerkung in jurisPR-SozR 22/22 Nr. 5 wirft Spellbrink dem Senat vor, er verbreite Alltagstheorien über das Vorliegen einer PTBS und halte letztlich an dem veralteten Diagnosesystem nicht wegen fehlender Validität, sondern deshalb fest, weil es wohl eher im Einzelfall zu „passenden” Ergebnissen führe.
Knickrehm beschreibt, gerade bei psychischen Traumata sei rasche Hilfe und Bearbeitung notwendig, um eine Verfestigung und/oder Chronifizierung des Leidens zu verhindern oder zumindest die Bedingungen für ein Leben mit diesen Traumata zu erleichtern (Knickrehm, ASR 2022, 13 ff.; Knickrehm, Netzwerk Sozialrecht – Im Fokus des SGB XIV: Schnelle Hilfen und erleichterte Verfahren bei psychischen Schäden, 2024). Eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebene Studie – s. Knickrehm, ASR 2022, 12, 14 Fn 16 ASR – habe diese Erkenntnis aus der Alltagstheorie herausgehoben und medizinisch-wissenschaftlich untermauert.
2. Schnelle Hilfen
Auf den gewonnenen Erkenntnissen über die besondere Bedeutung Schneller Hilfe und Bearbeitung beruht der in §§ 31 ff. unter der Überschrift „Schnelle Hilfen” vorgesehene Leistungskatalog sowie das für diese Leistungen als Regelverfahren vorgesehene erleichterte Verfahren (§ 115 Abs. 1) nach den Vorschriften der §§ 115, 116.
Hinweis:
Siehe zudem bereits die Erleichterungen bei psychischen Gesundheitsstörungen hinsichtlich des Nachweises der Anspruchsvoraussetzungen (§ 4 Abs. 5), die Möglichkeit der nachträglichen Antragstellung für Leistungen in einer Traumaambulanz (§ 10 Abs. 5), verbunden mit dem vorzeitigen Einsetzen dieser Hilfe (§ 11 Abs. 4 S. 2) sowie die einschränkungslos erfolgende Kostenübernahme für die ersten beiden Sitzungen in der Traumaambulanz und die erste Kontaktaufnahme in § 11 Abs. 5.
Die Leistungen der Schnellen Hilfen als Leistung eigener Art umfassen Leistungen des Fallmanagements (§ 30) und solche in einer Traumaambulanz (§ 29).
Das Fallmanagement (s. näher Knickrehm/Mushoff/Schmidt, a.a.O, Rn 94 ff.) soll erreichen, dass die Leistungen des SER und diejenigen anderer Sozialleistungsträger schnell und koordiniert erbracht werden. Die Berechtigten sind von Fallmanagern aktivierend und koordinierend durch das Antragsverfahren und Leistungsverfahren zu begleiten (§ 30 Abs. 1). Nach Abs. 3 der Vorschrift können Berechtigte ein Fallmanagement erhalten (nach pflichtgemäßem Ermessen, bei erkennbar unterstützungsbedürftigen Personen ist die Hilfe zu erbringen), Geschädigte sollen ein solches erhalten, d.h. ein entsprechender Bedarf ist anzunehmen, wenn kein atypischer Sachverhalt vorliegt, wenn das schädigende Ereignis eine Straftat gegen das Leben oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung war oder wenn die Betroffenen bei Eintritt des schädigenden Ereignisses minderjährig waren (§ 30 Abs. 3, 4). Die vom Fallmanagement zu erbringenden Leistungen sind in Abs. 5 der Vorschrift näher aufgelistet. Das vom Gesetz ausdrücklich als Sachleistung eigener Art bestimmte Fallmanagement ist nicht identisch mit der von den Sozialleistungsträgern geschuldeten Aufklärung, Beratung und A...