1. Ausgangssituation
Seit Mitte der 1960er Jahre hat sich eine tiefgreifende Wandlung im Bereich der Kapitalanlage vollzogen. Bis dahin stand der Spargedanke im Vordergrund: Sparbuch, Festgeld, Bundesanleihen, Kommunalobligationen. Die Kunden ließen sich in den "Wirtschaftswunderjahren" hauptsächlich von dem Gedanken leiten, das Erarbeitete möglichst sicher anzulegen und dabei Alternativen zu suchen, die einen attraktiven Zins boten.
Die Investition in Immobilien rechnet sich für den durchschnittlichen Bürger (Eigentumswohnungen, Einfamilienhäuser) überwiegend allerdings nicht. Das DIW Berlin hat ermittelt, dass 20,7 % der Immobilieninvestitionen Bruttorenditen zwischen 0–2 % jährlich erzielten, 8,5 % der Immobilienanlagen negative Bruttorenditen und bei 24,6 % die Rendite 0 % betrug. Hauptgrund seien hohe Instandhaltungs- und Verwaltungskosten. Eine Ausnahme bilden allenfalls Investitionen in Studentenwohnungen mit Renditen zwischen 5–7 %.
Die anhaltende Niedrigzinsphase animiert zur Flucht in das "Betongold" oder in angeblich hohe Renditen versprechende Papiere. Alles dies führte zu einer dramatischen Ausweitung der Abteilungen "Anlageberatung" bei den Banken und der Aufblähung eines Angebots über die Grenzen der Überschaubarkeit und Berechenbarkeit hinaus. Das "Risiko" stand bei einer Vielzahl von Anlageverträgen als Menetekel an der Wand.
2. Kapitalanlagemöglichkeiten
Neben Bauherrenmodellen und der Beteiligung an Abschreibungsgesellschaften steht der Erwerb von Wertpapieren im Vordergrund. Dabei geht es um den Wertpapierhandel börsennotierter Effekten. Dieser freie Markt ("grauer Kapitalmarkt"), unterliegt im Wesentlichen dem Privatrecht, mit erheblichem Täuschungs- und Schadenspotential. Hohe und unkontrollierbare Vergütungen für Anbieter, Vermittler und Kundenberater führen zu verdeckten Risiken für den Anleger. Relativ unproblematisch sind die Finanzierungen von "Start-ups", bei dem den Beteiligten klar ist, dass es sich um den Erwerb reiner Risikobeteiligungen handelt, bei denen sehr hohe Renditen ebenso möglich sind wie der Totalverlust der Anlage.
Eine Flut von Rechtsstreitigkeiten, fast ausschließlich gegen Geschäftsbanken, bei denen Kleinanleger ihr Erspartes verloren haben, belegen Dynamik und Dramatik dieses Bereichs anwaltlicher Beratung und Vertretung.
3. Anwaltliche Herausforderungen
a) Beratung vor Abschluss eines Anlagevertrags
Dass der Mandant bei seinem Anwalt vor Abschluss eines Anlagevertrags um Rat nachsucht, ist wohl eher die Ausnahme. Die Nutzen/Schaden-Abwägung gehört jedoch – ebenso wie die Aufklärung über die in Betracht kommenden Anlageformen – zu den anwaltlichen Pflichten.
Hinweise:
Der mit der Beratung betraute Allgemeinanwalt sollte sich hierzu explizit beauftragen und sich das Informationsgespräch, ggf. auch eine schriftliche Auskunft, dahingehend bestätigen lassen, dass von bestimmten Investitionen abgeraten wurde. Außerdem sollte der Mandant unterzeichnen, dass er umfassend Gelegenheit hatte, Fragen zu stellen und die anwaltliche Aufklärung verstanden hat.
Die Empfehlung, Angebote von mindestens zwei Banken einzuholen und prüfen zu lassen, sollte selbstverständlich sein. Ratsam sind Offerten von einer Geschäftsbank und einer Sparkasse oder Genossenschaftsbank einzuholen, da sie – im Gegensatz zu Geschäftsbanken – die Gewinnerzielung nicht als Hauptzweck betreiben (Bindung der Sparkassen an ihren öffentlichen Auftrag und der Genossenschaftsbanken an den gesetzlichen Förderauftrag gem. § 1 GenG).
Sinnvoll ist die Auslage eines Merkblatts zu Kapitalanlagen in der Kanzlei mit folgendem Inhalt:
- Kapitalanlagen und Risiken,
- unterschiedliche Geschäftsmodelle und Marktpolitik der Banken (Geschäftsbanken, Sparkassen, Kreditgenossenschaften),
- Vorbereitung des Beratungsgesprächs, erforderliche Unterlagen,
- Aufklärungspflicht der Bank,
- Bedeutung des Beratungsprotokolls,
- Terminsvereinbarung nach Beratergesprächen und Offerten (kein Unterzeichnen im Beratungstermin!).
Checkliste
Außerdem sollten folgende Punkte im Anwaltsgespräch vor Vertragsbindung mit dem Mandanten erörtert werden:
- Anlageziele: kurzfristige Hochrendite, langfristiger Vermögensaufbau, Altersvorsorge, Fristgebundenheit, Risikobereitschaft?
- Kenntnisse: Mit welchen Finanzprodukten besteht bereits Erfahrung? Bisher eingesetzte Beträge, Renditen, Verluste? Erfahrungen mit Fremdwährungen?
- Bei Selbständigen: Wird der Anlagebetrag aus dem Privat- oder Geschäftsvermögen aufgebracht? Sollen mit erwarteten Gewinnen Liquiditätsengpässe geschlossen werden?
b) Beratung nach gescheiterter Anlage
Der Regelfall ist der Rechtsschutz nach einer gescheiterten Anlage. Folgende Punkte muss der Anwalt vor Eintritt in einen Rechtsstreit klären:
- Prüfung der Vermögenssituation des Mandanten im Verhältnis zu den eingegangenen Verpflichtungen,
- Nachvollziehen des Beratungsgesprächs und Vertragsabschlusses anhand des Protokolls, ggf. Anforderung des Beratungsprotokolls,
- Prüfung der Entwicklung der Kapitalanlage und abgleichen mit schriftlichen oder mündlichen Informationen,
- Kontrolle, ob die Vorschriften des WpHG eingehalten wurden,
- Möglichkeit einer einvernehmliche Regelung in Betracht zu ziehen.
Ziel ist es, dem Mandanten ...