a) Beinaheunfall/Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert
Auch im Berichtszeitraum sind mehrere Entscheidungen der Obergerichte zum sog. Beinaheunfall ergangen. Diese Fragen sind immer wieder Gegenstand der Rechtsprechung auch des BGH (so u.a. BGH, Beschl. v. 21.5.2015 – 4 StR 164/15, StRR 2015, 309 = VRR 7/2015, 10). In dem Beschluss vom 21.5.2015 weist der BGH noch einmal darauf hin, dass durch die tatsächlichen Feststellungen des Tatgerichts belegt sein bzw. werden muss, dass durch den dem Angeklagten angelasteten Verkehrsvorgang Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert (konkret) gefährdet worden seien. Nach gefestigter BGH-Rspr. (vgl. dazu auch Burhoff in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, a.a.O., § 4 Rn. 242 ff.) muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache von bedeutendem Wert so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. BGH VRR 2012, 226 = StRR 2012, 227 m.w.N.; SSW-StGB/Ernemann, 2. Aufl., § 315c Rn. 22 ff.). Dafür reicht es nicht allein aus, wenn im tatrichterlichen Urteil z.B. (nur) mitgeteilt wird, dass das Ausbleiben einer Kollision zwischen den Fahrzeugen des Angeklagten und einer Zeugin "nur dem Zufall geschuldet" war. Offen bleibt dann nämlich, inwieweit im Fall einer Kollision auch Leib und Leben des anderen Verkehrsteilnehmers bedroht gewesen waren. Hierzu sind – so der BGH – nähere Angaben zu den gefahrenen Geschwindigkeiten und zu der Beschaffenheit des Fahrzeugs der Zeugin B. erforderlich gewesen (vgl. auch schon BGH VRR 2008, 312 = StRR 2008, 353). Um eine konkrete Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert bejahen zu können, müssen zudem bestimmte Angaben zum Wert des Fahrzeugs des anderen Verkehrsteilnehmers und zur Höhe des drohenden Schadens gemacht werden (vgl. BGH VRR 2011, 70 = StRR 2011, 112; zur maßgeblichen Wertgrenze s. BGH a.a.O.). Insoweit bleibt das vom Angeklagten geführte Fahrzeug außen vor (vgl. schon BGHSt 27, 40; NStZ 1999, 350, 351; u.a. BGH StRR 2015, 309 = VRR 7/2015, 10).
Hinweis:
Diese Fragen sind immer wieder Gegenstand der Rechtsprechung des 4. Strafsenats (vgl. dazu auch Burhoff in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, § 4 Rn. 242 ff. m.w.N.). Man fragt sich nur, warum der BGH diese Fragen immer wieder entscheiden muss? Das spricht dafür, dass die Tatgerichte seine Entscheidungen nicht lesen, zumindest aber dann nicht umsetzen. Für den Verteidiger liegt hier eine Chance, über eine Aufhebung des tatrichterlichen Urteils und eine Neuverhandlung Zeit zu gewinnen.
b) Begriff des Fußgängerüberwegs i.S.v. § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB
Im Beschluss des BGH vom 21.5.2015 (4 StR 164/15, StRR 2015, 309 = VRR 7/2015, 10) hat der 4. Strafsenat auch noch einmal zum Begriff des "Fußgängerüberwegs" i.S.d. § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB Stellung genommen. Danach gilt: § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB erfasst nur das Falschfahren an Fußgängerüberwegen i.S.d. § 26 StVO. Das seien allein die durch Zeichen 293 (Zebrastreifen) markierten Fahrbahnflächen (vgl. auch BGH VRR 2008, 313 = NZV 2008, 528, 529; König in: LK-StGB, 12. Aufl., § 315c Rn. 102; SSW-StGB/Ernemann, a.a.O., § 315c Rn. 17 m.w.N), an denen zu Fuß Gehende und ihnen gleichgestellte Verkehrsteilnehmer nach § 26 Abs. 1 S. 1 StVO vor Fahrzeugen uneingeschränkt Vorrang haben und Fahrzeug Fahrende gem. § 26 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 und 3 StVO sowie § 41 Abs. 1 StVG i.V.m. Anlage 2 und Zeichen 293 besonderen Pflichten unterliegen (Einzelheiten bei König in: Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 26 StVO Rn. 18–21, 23–25 m.w.N.).
Hinweis:
Dass es sich bei einer Unfallstelle um eine mit "Zebrastreifen" markierte Fahrbahnfläche und damit um einen Fußgängerüberweg i.S.d. § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c StGB, § 26 StVO gehandelt hat, muss den Urteilsgründen entnommen werden können. Die Verwendung des Rechtsbegriffes "Fußgängerüberweg" kann die Angabe der zu dessen Ausfüllung erforderlichen Tatsachen nicht ersetzen (§ 267 Abs. 1 S. 1 StPO; BGH a.a.O.).
c) Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StGB) – Vorsatz
Die vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315c Abs. 1 Nr. 1 StGB verlangt hinsichtlich aller Tatumstände zumindest bedingten Vorsatz. Vorsatz ist deshalb nicht nur für die Kenntnis der Fahrunsicherheit, sondern auch bezüglich der konkreten Gefahr erforderlich. Der Täter muss die Umstände kennen, die den Gefahrerfolg im Sinne eines Beinaheunfalls als nahe liegende Möglichkeit erscheinen lassen und diese Gefahrenlage zumindest billigend in Kauf nehmen (BGH zfs 2014, 713 = NStZ-RR 2014, 384 [Ls.] = NZV 2015, 44 [Ls.]).