Im Berichtszeitraum haben sich erneut einige OLG mit der Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe (§ 47 StGB) bei einer Verurteilung wegen eines sog. Bagatelldelikts befasst. Hingewiesen soll in dem Zusammenhang auf das OLG Hamm (Beschl. v. 10.2.2015 – 5 RVs 76/14, StRR 2015, 191) und das OLG Bamberg (Urt. v. 11.2.2015 – 8 Ss 4/14, StRR 2015, 191; eingehend zu der Problematik Hillenbrand StRR 2015, 168 ff.).
1. Bagatelldelikt
In dem der Entscheidung des OLG Hamm (a.a.O.) zugrunde liegenden Fall wurde der erheblich und einschlägig vorbelastete Angeklagte erst- und zweitinstanzlich wegen Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB) in vier Fällen (Schäden 6,50 EUR bis 10,50 EUR) bei Strafaussetzung zur Bewährung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, die Einzelstrafen betrugen jeweils drei Monate.
Das OLG hat das nicht beanstandet. Weder das Übermaßverbot noch das Gebot schuldangemessenen Strafens schließe die Verhängung von Freiheitsstrafen, auch über das gesetzliche Mindestmaß hinausgehend, bei Bagatelldelikten bzw. Straftaten mit nur geringem Schaden aus. Aus dem Gebot schuldangemessenen Strafens ergebe sich auch nicht, dass die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nach § 47 StGB erst ab einer bestimmten Schadenshöhe in Betracht komme. Ob bei Bagatelldelikten bis zu einer bestimmten Schadensgrenze die Verhängung einer die gesetzliche Mindeststrafe übersteigenden Freiheitsstrafe schuldangemessen ist, entscheide sich vielmehr nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls. Bei deren Beurteilung dürfe nicht einseitig auf die Schadenshöhe abgestellt werden, vielmehr seien für die Verhängung einer Freiheitsstrafe insbesondere vielfache, einschlägige Vorstrafen sowie der Umstand, dass ein Angeklagter sich durch die Verhängung von Geldstrafen nicht nachhaltig beeinflussen lässt, bedeutsam. Zu Recht habe daher die Strafkammer darauf abgestellt, dass der Angeklagte wiederholt einschlägig in Erscheinung getreten ist und sich durch die bislang verhängten, teils hohen Geldstrafen in keiner Weise hat beeindrucken lassen. Zudem war es sogar zwischen den vorliegend abgeurteilten Einzeltaten zu weiteren Verurteilungen gekommen. Dieser Umstand sowie eine hohe Rückfallgeschwindigkeit sprächen für eine verfestigte rechtsfeindliche Einstellung des Angeklagten, der das LG zutreffend mehr Gewicht beigemessen habe als den Schadensbeträgen.
Hinweis:
Insbesondere, wenn der Angeklagte mehrfach und einschlägig vorbestraft ist, kommt also auch bei Bagatelldelikten eine das gesetzliche Mindestmaß übersteigende Freiheitsstrafe in Betracht (vgl. auch Hillenbrand StRR 2015, 168). Dem wird man letztlich zustimmen müssen, da es sonst dem Gebot angemessenen Strafens zuwider liefe, wenn sich selbst notorische Straftäter trotz immer neuer einschlägiger Delikte stets darauf verlassen könnten, dass es im Falle der Tataufdeckung bei der Mindeststrafe bleibe (vgl. auch noch OLG Hamm, Urt. v. 21.10.2014 – 1 RVs 82/14, NStZ-RR 2015, 205 = StRR 2015, 111).
2. Übermaßverbot
Im Verfahren des OLG Bamberg (a.a.O.) war der ebenfalls mehrfach und einschlägig vorbestrafte Angeklagte vom AG wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden, wobei Strafaussetzung zur Bewährung nicht erfolgte. Im Berufungsverfahren verhängte das LG eine Geldstrafe. Begründung: Die Verhängung von Freiheitsstrafe sei zwar unerlässlich i.S.d. § 47 Abs. 1 StGB, verstoße im konkreten Fall aber wegen eines in anderer Sache drohenden Bewährungswiderrufs gegen das Übermaßverbot.
Das OLG moniert in seiner Entscheidung, die Strafkammer habe in rechtsfehlerhafter Weise die Entscheidung über die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe mit der Frage, welche Folgewirkungen hieraus bezüglich offener Bewährungen resultieren könnten, vermengt. Zudem stelle § 47 Abs. 1 StGB eine einfach-gesetzliche Konkretisierung des rechtsstaatlichen Übermaßverbotes dar, so dass im Falle der Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe – die das LG bejaht habe – für darüber hinausgehende Verhältnismäßigkeitserwägungen weder Raum noch Notwendigkeit bestehe. Die Argumentation des LG sei daher widersprüchlich.
Diese Argumentation ist zwar zutreffend. Hinsichtlich offener Bewährungen sind andere Obergerichte allerdings anderer Auffassung: So hat etwa das OLG Karlsruhe verlangt, es bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe zu berücksichtigen, wenn in anderer Sache ein Bewährungswiderruf droht (OLG Karlsruhe NJW 2003, 1825). Hätte der Angeklagte im Falle eines Widerrufs eine längere Haftstrafe zu verbüßen, könne es das Übermaßverbot gebieten, anstelle einer Freiheitsstrafe eine Geldstrafe zu verhängen, die bei geringer Höhe regelmäßig nicht zum Widerruf führt (so auch KG StRR 2007, 113).
Hinweis:
Ein allgemeiner Grundsatz dahingehend, dass im Falle eines drohenden Bewährungswiderrufs immer die Verhängung einer Geldstrafe geboten ist, lässt sich jedoch auch diesen Entscheidungen nicht entnehmen. Vielmehr wird ein An...