Herostratos war das, was man im heutigen Sprachgebrauch als „Loser“ bezeichnet. Er lebte im Jahr 356 v. Chr. in Ephesos ohne soziale Bindungen, erfolglos und unbeachtet. Jedoch war er von einem einzigen Wunsch beseelt: Er wollte weltberühmt werden. Also entschloss er sich, eines der sieben Weltwunder der Antike, den Tempel der Göttin Artemis, in Brand zu setzen.

Die Attentäter der Neuzeit befinden sich in nahezu derselben Situation wie Herostratos: Sie sind Einzelgänger und geltungssüchtig, sie wollen durch ein spektakuläres Verbrechen berühmt und von ihren Mitmenschen gefürchtet werden, von denen sie bislang nicht beachtet wurden.

Dem Attentäter von München ist es gelungen, eine Millionenstadt nahezu lahm zu legen, den Einsatz von 2.800 Polizeibeamten zu veranlassen und weltweit Aufmerksamkeit zu erregen, so dass sogar der amerikanische Präsident Obama sich zu seiner Tat geäußert hat.

Mit dem Begriff „Attentat“ verbindet man einen Anschlag aus politischen Motiven, die bei den spektakulären Verbrechen der jüngsten Vergangenheit nicht vorhanden waren oder nur vorgeschoben wurden. Die vermeintliche Verbindung zum IS-Terror soll einer sinnlosen Tat nur einen gewissen Sinn geben und das Medieninteresse verstärken.

Heerscharen von Reportern mit Fernsehkameras rücken aus, um möglichst nahe am Geschehen Horrormeldungen zu verbreiten und die Anzahl der Toten mit dem Attribut „mindestens“ zu versehen, mit der Aussicht, dass sich diese Zahl noch erhöhen werde.

Die Attentäter der Neuzeit haben ihre Tat sorgfältig vorbereitet und oft per Internet angekündigt, damit ihnen das weltweite Medieninteresse gewiss ist.

Die Motivation für Gräueltaten, die weltweit Aufsehen erregen sollen, wird durch das aktuelle Vorhaben, Fernsehkameras auch in Gerichtssälen zuzulassen, verstärkt. Bislang mussten sich Attentäter mit der Vorfreude begnügen, weltweites Interesse zu erregen, wenn sie nach ihrem Amoklauf sich selbst gerichtet oder ihren Tod durch Schüsse von Polizeibeamten provoziert hatten.

Nunmehr soll die Möglichkeit zu einem zweiten „Show-Down“ geschaffen werden: Das Verbrechen wird Gegenstand eines umfangreichen Strafverfahrens, welches in der Medienwelt erneut einen Hype auslöst.

Der Attentäter Anders Breivik, der im Juli 2011 77 Menschen ermordet hat, legte Wert darauf, seine Tat zu überleben, um sich dann im gerichtlichen Verfahren nochmals zu präsentieren. Er trug eine Phantasieuniform und verbreitet krude Sprüche, die sein sinnloses Morden rechtfertigen sollten.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht zwar bislang vor, dass nur die Urteilsverkündungen der obersten Bundesgerichte via Fernsehen übertragen werden können. Das Medieninteresse an Entscheidungen des Bundessozialgerichts oder des Bundesarbeitsgerichts dürfte denkbar gering sein, allenfalls Urteilsverkündungen in Strafsachen sind „medientauglich“. Huff hat in seiner Kolumne (ZAP Nr. 15/2016 v. 27.7.2016) bereits darauf hingewiesen, dass es völlig unklar ist, wie die Fernsehübertragung der Urteilsverkündung vonstattengehen soll. Die Kameras werden sich nicht damit begnügen, lediglich das Bild des Gerichtsvorsitzenden zu verbreiten, der im oft unverständlichen Juristendeutsch das Urteil verkündet. Das Interesse wird sich insbesondere auf den Angeklagten richten, wie er sich verhält.

Bei den Epigonen von Herostratos ist damit zu rechnen, dass diese die Fernsehübertragungen dazu nutzen werden, sich erneut zu präsentieren, die Urteilsbegründung durch eigene Wortmeldungen zu unterbrechen und auch sonst auf sich aufmerksam zu machen.

Wenig hilfreich ist es auch, wenn nach dem Regierungsentwurf das Gericht/der Senat darüber zu entscheiden hat, ob Fernsehkameras zugelassen werden. Es entsteht die Gefahr der Zwei-Klassen-Justiz, Richter mit einem Hang zur Selbstdarstellung werden Kameras zulassen, während Richter, die auf eine sachliche, von Fernsehkameras unbeeinflusste Atmosphäre Wert legen, dann in den Verdacht der Geheimniskrämerei oder juristischer Unsicherheit geraten.

Die Begründung im Gesetzentwurf, man wolle durch derartige Übertragungen die Akzeptanz der Justiz erhöhen, überzeugt nicht. Das Medieninteresse wird sich auf spektakuläre Strafprozesse fokussieren und nur der Befriedigung von Sensationsgier dienen. Kameras haben in Gerichtssälen während der Verhandlungen nichts zu suchen, eine objektive und faire Verhandlung ist im Scheinwerferlicht von Fernsehkameras nicht mehr gewährleistet, im Gegenteil, die emotionslose Sachlichkeit ist in Gefahr.

Die Stadtväter von Ephesos haben seinerzeit verfügt, dass der Name des Herostratos geheim bleiben sollte, damit sein Ziel, Weltruhm zu erlangen, nicht erreicht wird. Auch in Frankreich gibt es Bestrebungen, die Namen und Fotos von Attentätern nicht mehr zu verbreiten.

Die Bemühungen der Stadtväter von Ephesos waren erfolglos: Attentäter, die durch ein spektakuläres Verbrechen auf sich aufmerksam machen wollen, werden bis heute „Herostraten“ genannt.

Es wird auch in der Neuzeit nicht gelingen, die Medien zur Zurückhaltung bei ihren B...

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