Die Formulierung "nach sechsmonatigem Bestehen" in § 4 BUrlG zeigt, dass der volle Urlaubsanspruch nicht bereits "mit dem sechsmonatigen Bestehen" erworben wird und der Ablauf der Wartezeit und das Entstehen des Vollurlaubsanspruchs damit nicht zusammenfallen. Nach § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG entsteht nur ein Teilurlaubsanspruch, wenn der Arbeitnehmer nach erfüllter Wartezeit in der ersten Hälfte eines Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Dies umfasst auch ein Ausscheiden mit Ablauf des 30. Juni eines Kalenderjahres. Deshalb hat der Neunte Senat des BAG (Urt. v. 17.11.2015 – 9 AZR 179/15, NZA 2016, 309) unter Aufgabe der entgegenstehenden Rechtsprechung (vgl. BAG, Urt. v. 26.1.1967 – 5 AZR 395/66, AP Nr. 1 zu § 4 BUrlG) entschieden, soweit ein Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 1. Juli eines Jahres begründet werde, könne der Arbeitnehmer in diesem Jahr nach § 4 BUrlG keinen Vollurlaubsanspruch erwerben.
Nach dem Wortlaut des § 4 BUrlG entstehe der Vollurlaubsanspruch erst "nach" sechsmonatigem Bestehen und nicht bereits "mit" dem sechsmonatigen Bestehen des Arbeitsverhältnisses. Hinzu kommt, dass ein Arbeitnehmer auch bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 30. Juni eines Jahres keinen Vollurlaub, sondern nur Teilurlaub beanspruchen kann (vgl. BAG, Urt. v. 16.6.1966 – 5 AZR 521/65, NJW 1966, 2081). Zwischen dem ersten und dem zweiten Halbjahr entstünde urlaubsrechtlich ein Wertungswiderspruch, wenn ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis zum 1. Juli eines Jahres begründet wird, in diesem Jahr mit dem 31. Dezember einen Vollurlaubsanspruch erwerben würde. Zuletzt ordnet § 1 BUrlG i.V.m. § 3 Abs. 1 BUrlG an, dass jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf 24 Werktage bezahlten Erholungsurlaub hat. Die gesetzliche Regelung geht damit nicht davon aus, dass ein Arbeitnehmer, der bei einem Arbeitgeber vom 1. Januar bis zum 30. Juni und bei einem anderen Arbeitgeber vom 1. Juli bis zum 31. Dezember desselben Jahres beschäftigt war, zweimal einen vollen Urlaubsanspruch im Umfang von jeweils 24 Werktagen erwirbt.
Hinweise:
- Das BAG klärt einen Meinungsstreit in der arbeitsrechtlichen Literatur (vgl. HWK/Schinz, § 4 BUrlG Rn 12 m.w.N.). Für die Praxis ist nun klar: Der Neunte Senat des BAG hält ausdrücklich an der Entscheidung (BAG, Urt. v. 26.1.1967 – 5 AZR 395/66, AP Nr. 1 zu § 4 BUrlG) nicht mehr fest, soweit daraus das Gegenteil zu entnehmen sein sollte.
- Die Wartezeit i.S.d. § 4 BUrlG läuft jahresübergreifend!
- Der Urlaubsanspruch ist aber grundsätzlich an das Kalenderjahr gebunden, vgl. §§ 1, 5 Abs. 1, 6 Abs. 1, 7 Abs. 3 BUrlG.