a) Arbeitnehmer
Bei der Beurteilung eines Sachverhalts muss der Richter der Sozialgerichtsbarkeit gelegentlich Gesetze eines fremden Rechtssystems anwenden. Dann taucht die Frage auf, wie Begriffe auszulegen sind, wenn deren sprachliche Fassung mit der uns geläufigen übereinstimmt. Selbst ohne solche Wechselwirkungen können bei der inhaltlichen Bestimmung gleichlautender Begriffe Auslegungsschwierigkeiten bestehen. Als äußerst bedenklich ist festzustellen, dass das Sozialrecht für seinen Bereich nicht einmal für alle Materien (RV, UV, KV pp.) eine einheitliche, verbindliche Beschreibung des zentralen Begriffes "Arbeitnehmer" kennt.
Nur Arbeitnehmer haben Anspruch auf Arbeitslosengeld (§ 136 S. 1 SGB III). Der Begriff "Arbeitnehmer" ist im SGB III – Arbeitsförderung – an keiner Stelle verbindlich umschrieben.
Die Fassung des § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III "Arbeitslos ist, wer Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer ist und nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit)" besagt nur, dass der Gesetzgeber die Beschäftigungslosigkeit als – zusätzlichen – Bestandteil der Arbeitnehmereigenschaft wertet.
Hinweis:
§ 12 SGB III bestimmt ausdrücklich, dass die im zweiten Abschnitt "Berechtigte" des SGB III enthaltenen Begriffsbestimmungen – also z.B. auch "Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer" (§ 13 SGB III) – nur für das SGB III maßgebend sind.
Mit anderen Worten: Eine einheitliche Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs gibt es für den Bereich der Arbeitsförderung nur im SGB III. Für die übrigen Bücher des SGB und andere relevante Bereiche fehlt eine gesetzliche Begriffsbestimmung.
Hinweis:
Der Arbeitnehmerbegriff des Sozialrechts ist auch nicht identisch mit dem des Arbeitsrechts. Nicht jedes rechtswirksame Arbeitsverhältnis ist ein wirksames Beschäftigungsverhältnis (beispielsweise der missglückte Arbeitsversuch). Auf der anderen Seite kann eine Beschäftigung auch ohne ein faktisches Arbeitsverhältnis vorliegen (so BSGE 61, 211 ff.).
b) Beschäftigung
Auch haben sich die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sehr häufig mit der Frage, ob die Betätigung eines Betroffenen als Beschäftigung anzusehen ist, zu befassen. Bei einer abhängigen Tätigkeit besteht Versicherungspflicht in der Renten- und Arbeitslosenversicherung (§ 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI). Ob eine solche abhängige Beschäftigung anzunehmen ist, beurteilt sich nach § 7 Abs. 1 SGB VI. Diese Vorschrift definiert die Beschäftigung als eine "nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis". Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Abgrenzung Beschäftigung – Selbstständigkeit
Für die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit kommt es vor allem auf eine sorgfältige Klärung der tatsächlichen Verhältnisse an. Sie ist Voraussetzung für eine zutreffende Beurteilung des Einzelfalls (s. hierzu das ausführlich begründete Urteil des BSG v. 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R = BSGE 111, 257 ff.). Beurteilungsmaßstab für die Annahme einer Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV: "Beschäftigung ist nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis". Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftige in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein.
Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (statt vieler: BSGE 78, 34 ff.; zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit s. BVerfG SozR 3-2400 § 7 Nr. 11).
Nachdem der Vorsitzende, soweit erforderlich, den Sachverhalt gem. § 103 SGG aufgeklärt hat, muss er das Gesamtbild der Arbeitsleistung des Betroffenen würdigen und feststellen, welche Merkmale überwiegen. Dabei kommt den tatsächlichen Verhältnissen nicht voraussetzungslos ein Vorrang gegenüber den vertraglichen Abreden zu (BSGE 111, 260).
Ob eine Beschäftigung anzunehmen ist, muss das Gericht nach § 103 SGG von Amts wegen erforschen. Die tatsächlichen Verhältnisse geben den Ausschlag, wenn sie von den Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (...