Der Kläger des vorliegenden Verfahrens beantragte im Jahr 2007 Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§§ 41 ff. SGB XII). Er ist verheiratet, lebt seit 1982 von seiner Ehefrau getrennt und seitdem zusammen mit einer Frau W. in einer von dieser angemieteten Zweizimmerwohnung. Der Beklagte sah die neue Verbindung als eheähnliche Gemeinschaft an und lehnte den Anspruch wegen der Höhe des Einkommens der Partnerin gem. § 43 Abs. 1 S. 2 SGB XII ab. Nach dieser Vorschrift sind Einkommen und Vermögen u.a. des Partners einer eheähnlichen Gemeinschaft, die dessen notwendigen Lebensunterhalt nach § 27a SGB XII übersteigen, bei der Berechnung des Hilfeanspruchs zu berücksichtigen. Klage und Berufung blieben erfolglos.
Mit seiner Revision rügt der Kläger u.a. einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG: Eine eheähnliche Gemeinschaft sei aus verfassungsrechtlichen Gründen (Schutz von Ehe und Familie) ausgeschlossen, wenn daneben noch eine Ehe bestehe. Ferner wendet er ein, der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) sei verletzt, weil das LSG seinen im Verhandlungstermin gestellten Beweisantrag, W. als Zeugin zu vernehmen, übergangen habe. Das Rechtsmittel führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG (BSG, Urt. v. 5.9.2019 – B 8 SO 14/18 R, NJW 2020, 1246).
Hinweis:
Die Bestimmungen für die im SGB II und SGB XII geregelten existenzsichernden Leistungen stellen bei der Ermittlung der Hilfebedürftigkeit nicht nur auf die Lage des Hilfebedürftigen selbst ab, sondern auch – neben nicht getrennt lebenden Ehegatten und Lebenspartnern – auf Partner einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Diese werden hinsichtlich ihres Einkommens und Vermögens in die Bedarfs- bzw. Einsatzgemeinschaft einbezogen (§§ 7 Abs. 3 Nr. 3c, 9 Abs. 2 S. 1 SGB II; §§ 19 Abs. 3, 20, 27 Abs. 2, 43 Abs. 1 S. 2 SGB XII). Die Terminologie ist unterschiedlich: §§ 20 und 43 Abs. 1 SGB XII sprechen von eheähnlicher Gemeinschaft und lebenspartnerähnlicher Gemeinschaft, § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II nimmt Bezug auf Partner einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Sachlich bestehen insoweit keine Unterschiede.
Bei einer der Ehe gleichartigen (eheähnlichen) Lebensgemeinschaft handelt es sich um eine solche, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet, die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die Beziehung in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Partner ledig, verwitwet oder geschieden oder – wie vorliegend – mit einer dritten Person verheiratet sind. Für die Annahme, dass eine Partnerschaft "keine vergleichbare Lebensgemeinschaft daneben zulässt", ist der jeweilige Familienstand unerheblich. Entscheidend ist allein, dass nach einer Scheidung eine Heirat rechtlich möglich ist.
Eine Verletzung von Art 6 Abs. 1 GG, dessen Schutz allerdings auch der gescheiterten Ehe gelte, sei nicht gegeben (BSG, a.a.O., Rn 16 f.): Mit der Aufgabe der ehelichen Lebensgemeinschaft nach einer dauerhaften Trennung der Ehepartner wird Einkommen und Vermögen des getrennt lebenden Ehepartners bei der Prüfung der Bedürftigkeit seines neuen Partners in eheähnlicher Gemeinschaft zwar berücksichtigt. Dies benachteilige die fortbestehende, dauerhaft getrennte Ehe aber nicht bei der Gewährung von bedarfsabhängigen Sozialhilfeleistungen, weil gerade wegen der dauerhaften Trennung in dieser Ehe eine gemeinsame Bedürftigkeitsprüfung der Eheleute entfällt, was sich unmittelbar aus §§ 27 Abs. 2 S. 1, 43 Abs. 1 S. 2 SGB XII, ebenso im SGB II aus § 7 Abs. 3 Nr. 3a ergibt.
Die Revision des Klägers war gleichwohl erfolgreich, weil die vom LSG getroffenen Feststellungen zum Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft das BSG nicht binden, da der vom Kläger gerügte Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) vorliegt. Dieser verlangt, von allen Ermittlungsmöglichkeiten, die vernünftigerweise zur Verfügung stehen, Gebrauch zu machen. Für die Entscheidung über das Bestehen der eheähnlichen Gemeinschaft sind alle Anknüpfungstatsachen zu ermitteln, die darauf schließen lassen, ob die Personen, die sich eine Wohnung teilen, auch füreinander einstehen wollen und sie also zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden. Hierzu gehören die Angaben der Betroffenen ebenso wie andere Hinweistatsachen, z.B. die Dauer des Zusammenlebens, die konkrete Wohnsituation oder die Verfügungsmöglichkeit über das Einkommen und Vermögen des Partners.
Das BSG beanstandet, das Berufungsgericht sei davon ausgegangen, auf eine Befragung der W., deren Vernehmung als Zeugin der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG ordnungsgemäß beantragt hatte, könne schon deshalb verzichtet werden, weil deren Aussage als Zeugin – wie ihre im Prozess vorgelegte schriftliche Erklärung, nicht für den...