Durch drei Urteile vom 20.2.2020 hat das BSG entschieden, dass Jobcenter gegen Kostenerstattungsansprüche gem. § 63 SGB X nach erfolgreicher Vertretung im Widerspruchsverfahren durch die als Anwälte für die Rechtsuchenden tätigen Kläger (auf diese waren die Erstattungsansprüche als Ersatzanspruch der Vertretenen nach § 9 S. 2 BerHG übergegangen) nicht wirksam mit Erstattungsforderungen ihrerseits gegenüber den nach dem SGB II Leistungsberechtigten aufrechnen können (B 14 AS 3/19 R, B 14 AS 4/19 R und B 14 AS 17/19 R).
In allen drei Verfahren hatten Kläger für ihre Mandanten in Widerspruchsverfahren obsiegt. Das jeweils verklagte Jobcenter erklärte sich bereit, die notwendigen Aufwendungen nach § 63 SGB X zu erstatten, und sah die Zuziehung eines Bevollmächtigten als notwendig an. Es rechnete jeweils jedoch gegenüber den geltend gemachten Kosten auf mit Erstattungsforderungen, die ihm gegenüber dem jeweiligen Widerspruchsführer zustanden, und verweigerte im Hinblick darauf die Zahlung.
Das BSG sieht dies für unwirksam an. Zwar ist eine Aufrechnung als Rechtsinstitut des öffentlichen Rechts, auf das §§ 367 ff. BGB ggf. entsprechend anzuwenden sind, grds. auch durch öffentlich-rechtliche Willenserklärung zulässig (Entscheidung des Großen Senats vom 31.8.2011,GS 2/10, BSGE 109, 81). Einer wirksamen Aufrechnung stehe jedoch ein aus dem Sinn und Zweck des § 63 SGB X folgendes Aufrechnungsverbot entgegen. Die Vorschrift sichert die Widerspruchsführer vor der Kostenlast bei einem erfolgreichen isolierten Vorverfahren ab, gibt den Bevollmächtigten die Sicherheit, ihre Gebühren und Auslagen auch bei Vertretung von unbemittelten Widerspruchsführern zu erhalten und steht ferner dafür, dass auch dieser Personenkreis Anwälte findet, die zu ihrer Vertretung bereit sind, weil sie im Erfolgsfall dieselbe Vergütung erwarten können wie bei bemittelten Mandanten.
Die Aufrechnung greift demnach ein in den Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit von Unbemittelten und Bemittelten (aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) insb. im Bereich des SGB II, in dem Widerspruchsführer typischerweise nicht in der Lage sind, Anwaltskosten selbst zu tragen. Wenn Rechtsanwälte ihre Vergütung nicht über den Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X erhalten können, so besteht die Gefahr, dass der Zugang zu rechtskundiger Unterstützung im Vorverfahren durch i.d.R. entgeltlich tätige Bevollmächtigte faktisch erschwert wird.
Eine Zulassung der Aufrechnung würde zudem, so das BSG, ohne erkennbare Rechtfertigung vom prozessualen Kostenrecht abweichen, dem das "Obsiegens- und Unterliegensprinzip" zugrunde liegt (s. § 197a Abs. 1 SGG). Haben Widerspruchsführer erst im Klageverfahren Erfolg, so erfasst der gerichtliche Ausspruch zur Kostenerstattung auch das Vorverfahren. Bei hinreichender Erfolgsaussicht ist Empfängern von Leistungen nach dem SGB II regelmäßig Prozesskostenhilfe zu bewilligen. In diesem Fall sichert das dort geltende Aufrechnungsverbot aus § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 126 Abs. 2 S. 1 ZPO das Beitreibungsrecht der Anwälte und damit auch deren Bezahlung für die Vertretung im gerichtlichen Verfahren. Die Kosten des Vorverfahrens erfasst § 126 Abs. 2 S. 1 ZPO aber nicht.
Hinweis:
Der vom BSG erwähnte Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit kann u.a. auch durch Versagung von Prozesskostenhilfe verletzt werden, wenn die Fachgerichte einen PKH-Anspruch verneinen und dabei die Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal hinreichende Erfolgsaussichten überspannen, indem sie eine bislang ungeklärte, schwierige Rechtsfrage bereits im PKH-Verfahren "durchentscheiden" (s. BVerfG, Beschl. v. 16.4.2019 – 1 BvR 2111/17 Rn 22 und nunmehr der stattgebende Kammerbeschluss v. 12.2.2020 – 1 BvR 1246/19, hierzu Neumair, jurisPR-SozR 11/2020 Anm. 4). Die zuletzt angeführte Entscheidung betraf ein sozialgerichtliches Verfahren, in dem zu klären war, ob § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB XII – der nicht ausreisepflichtige Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht von Leistungen nach § 23 Abs. 1 SGB XII ausschließt – verfassungsgemäß ist. Das LSG hatte dies bejaht und die Gewährung von PKH abgelehnt, obwohl die Rechtsfrage in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wird.