In der Grundsicherung für Arbeitsuchende müssen nicht nur zu Unrecht bezogene (§ 50 SGB X), sondern außerdem rechtmäßig erhaltene Leistungen nach § 34 SGB II ersetzt werden, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung nach Vollendung des 18. Lebensjahrs vorsätzlich oder grob fahrlässig ohne wichtigen Grund herbeigeführt wurden. Das BSG musste in zwei Verfahren entscheiden, was ein wichtiger Grund ist.
Im ersten Fall (Urt. v. 29.8.2019 – B 14 AS 49/18 R) fehlte der Kläger wiederholt in einer Maßnahme der außerbetrieblichen Berufsausbildung, an der er seit Oktober 2014 teilnahm. Deshalb kündigte der Bildungsträger im Juni 2015 das Ausbildungsverhältnis fristlos. Das beklagte Jobcenter bewilligte ihm ab Juli 2015 Arbeitslosengeld II, senkte dieses aber für drei Monate um 30 % wegen pflichtwidrigen Verhaltens wegen der Fehlzeiten ab. Außerdem stellte es durch Grundlagenbescheid vom 5.1.2016 und durch Widerspruchsbescheid vom 7.4.2016 fest, dass der Kläger wegen schuldhafter Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit durch die Beendigung des Ausbildungsverhältnisses "zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen" verpflichtet sei. Der Umfang und die Höhe sollten in einem gesonderten Bescheid festgesetzt werden. Durch Leistungsbescheid vom 14.4.2016 wurde für die Zeit vom 1.7.2015 bis zum 31.12.2015 ein Ersatzanspruch i.H.v. 2.968,51 EUR geltend gemacht und die Aufrechnung gegen laufende Leistungen i.H.v. 121,20 EUR erklärt. Widerspruch und Klage gegen den Grundlagenbescheid blieben ohne Erfolg. Das LSG hat den Grundlagenbescheid und den Leistungsbescheid aufgehoben. Mit der Revision rügte der Beklagte die Einbeziehung des Leistungsbescheids in das Verfahren durch das LSG und die Verletzung von § 34 SGB II.
Zunächst musste das BSG klären, ob das LSG den Leistungsbescheid in die Sachentscheidung einbeziehen durfte. Ein neuer nach der Klageerhebung ergangener Verwaltungsakt wird nach § 96 Abs. 1 SGG nur Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt. Hierfür ist nach der ständigen Rechtsprechung (aus jüngerer Vergangenheit BSG, Urt. v. 14.3.2018 – B 12 KR 12/17 R) Voraussetzung, dass der Regelungsgegenstand der Verwaltungsakte identisch ist. Keine Identität besteht, wenn der neue Verwaltungsakt einen anderen Streitstoff zum Gegenstand hat oder auf veränderten Tatsachen beruht (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 96 Rn 4a). Im zu entscheidenden Fall verneinte das BSG einen identischen Regelungsgegenstand von Grundlagen- und Leistungsbescheid, weil unterschiedliche Rechtsfolgen gesetzt werden (Rn 11). Das intendierte Zusammenwirken von Grundlagenbescheid und Leistungsbescheid müsse durch Auslegung ermittelt werden, wobei nicht nur auf den Wortlaut, sondern zusätzlich auf den objektiven Sinngehalt, also darauf, was ein Empfänger "bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls u.a. einschließlich früher zwischen den Beteiligten ergangener Verwaltungsakte verstehen konnte und musste" (so die ständige Rechtsprechung des BSG z.B. Urt. v. 25.10.2017 – B 14 AS 9/17 R, Rn 21 ff. m.w.N.).
In einem weiteren Prüfungsschritt bejahte das BSG die Befugnis der Jobcenter, in einem Grundlagenbescheid isoliert die Sozialwidrigkeit eines Verhaltens i.S.v. § 34 Abs. 1 SGB II festzustellen. Dies hält das BSG unter Hinweis auf die Rechtsprechung für zulässig, wenngleich dies dem Gesetzeswortlaut nicht ausdrücklich entnommen werden kann, wenn dies dem Bedürfnis der Leistungsberechtigten und der Behörde dient.
Hinweis:
In folgenden weiteren Fällen hält das BSG gestufte Entscheidungen für zulässig:
Ein solches Bedürfnis sieht das BSG sowohl auf Seiten des Klägers als auch des Beklagten. Beide Seiten hätten ein Interesse an einer zügigen Feststellung der Frage, ob sozialwidriges Verhalten vorliege. Mit der Feststellung werde zudem frühzeitig auf die Folgen sozialwidrigen Verhaltens hingewiesen, sodass sie Warnfunktion habe. Weiter würde das Risiko uneinheitlicher Entscheidungen vermieden. Die Feststellung ist allerdings auf die Sozialwidrigkeit beschränkt. Der Feststellung der Ersatzpflicht durch Grundlagenbescheid stehen nach den Ausführungen des BSG die Tatbestandsvoraussetzungen von § 34 SGB II entgegen. Ob diese (insb. Kausalität zwischen sozialwidrigem Verhalten und Leistungsbezug) erfüllt sind, müsste im Einzelfall zeitabschnittsweise beurteilt werden.
Im entschiedenen Fall schied die Feststellung der Sozialwidrigkeit indessen aus, weil kein sozialwidriges Verhalten vorlag. Für dieses verl...