1. Anforderungen an die Entscheidung des LSG im Beschlussverfahren nach § 153 Abs. 4 S. 1 SGG; Verpflichtung zur nochmaligen Anhörung
Die oben unter II. 2. bereits erwähnte Entscheidung des BSG vom 10.12.2019 – B 11 AL 16/18 R hat ihren Schwerpunkt im Verfahrensrecht (s. hierzu die Anmerkung von Becker, juris PR-SozR 8/2020 Anm.6).
Grundsätzlich entscheidet das LSG über die Berufung durch Urteil. Eine Entscheidung durch Beschluss ist möglich bei der Verwerfung einer unzulässigen Berufung nach § 158 SGG und bei einer Zurückweisung nach § 153 Abs. 4 S. 1 SGG, wenn das Gericht die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung für nicht erforderlich hält. In diesem Fall ist es verpflichtet, die Beteiligten vorher zu hören (§ 153 Abs. 4 S. 2 SGG).
Vorliegend hatte das LSG die Beteiligten in seinem die Bewilligung vom PKH an den Kläger ablehnenden Beschl. v. 25.11.2017 – mit Gelegenheit zur Äußerung binnen eines Monats – darauf hingewiesen, es erwäge, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, weil es sie gegenwärtig einstimmig aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halte. Die Beklagte hatte im Berufungsverfahren direkt an den Kläger und seinen Bevollmächtigten mehrere Schreiben gesandt, nach deren Inhalt das zu Unrecht unterlassene Verfahren der Anhörung zur Aufhebung der Alg-Bewilligung nachgeholt werden sollte (Schreiben vom 21.11.2017, Abschlussmitteilung vom 3.1.2018). Hierzu trug der Kläger am 17.1.2018 – das am gleichen Tag beim LSG einging – vor. Mit Beschl. v. 16.1.2018, der erst am 18.1.2018 von der Geschäftsstelle des Gerichts abgesandt worden ist, hat das LSG die Berufung zurückgewiesen.
Die vom BSG zugelassene Revision des Klägers (gestützt auf § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG wegen Verfahrensmangels) war i.S.d. Aufhebung und Zurückverweisung begründet, da das LSG nicht hätte durch Beschluss entscheiden dürfen.
Das Berufungsgericht sei verpflichtet gewesen, eine erneute Anhörung nach § 153 Abs. 4 S. 2 SGG vorzunehmen. Unter welchen Voraussetzungen eine solche erforderlich ist, orientiere sich am Zweck der Anhörungsmitteilung, den Beteiligten die Gelegenheit zu geben, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht alles vorbringen zu können, was aus ihrer Sicht für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung ist und gegen eine Entscheidung durch Beschluss und für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Beteiligung der ehrenamtlichen Richter spricht. Das Anhörungserfordernis sei aus verfassungsrechtlichen Gründen weit auszulegen, weil die Anhörungsmitteilung die ansonsten durch die mündliche Verhandlung ermöglichte umfassende Anhörung der Beteiligten adäquat kompensieren solle. Ob eine Änderung der Prozesslage als Ausgangssituation für eine erneute Anhörungspflicht des LSG gegeben ist, sei aus der objektiven Sicht eines Beteiligten zu werten. Entscheidend sei, ob Beteiligte bei solcher Betrachtung annehmen können, das Berufungsgericht habe bei seiner ersten Anhörungsmitteilung entscheidungserhebliche Gesichtspunkte nicht berücksichtigt.
Hier sei eine Änderung der Prozesslage gegenüber dem Zeitpunkt der erstmaligen Anhörung eingetreten, weil die Beklagte den Kläger fast zeitgleich mit der (ersten) Anhörung der Beteiligten durch das LSG angeschrieben und darauf hingewiesen hat, ihr sei ein Verfahrensfehler (unterbliebene Anhörung) vor Erlass des streitigen Aufhebungsbescheids unterlaufen und dieser solle durch Nachholung erst im Gerichtsverfahren geheilt werden. Aufgrund dieses Umstands wurde, bei einer objektiven Betrachtung des Prozessverlaufs, die das erstinstanzliche Urteil tragende Erwägung einer formellen Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide und damit auch die Aussage des LSG zur Unbegründetheit der Berufung "aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung" infrage gestellt. Bei der formellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide handelt es sich um einen entscheidungserheblichen Gesichtspunkt, was sich aus der rechtlichen Bedeutung der Anhörung für die Rechtmäßigkeit einer Aufhebungsentscheidung ergibt: Die Aufhebung eines Verwaltungsakts kann nach § 42 Abs. 1 S. 1 u. 2 SGB X allein deshalb beansprucht werden, weil die erforderliche Anhörung (§ 24 Abs. 1 SGB X) unterblieben oder nicht wirksam nachgeholt worden ist.
Nach § 41 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 2 SGB X ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht nach § 40 SGB X Nichtigkeit bewirkt, allerdings unbeachtlich, wenn u.a. die erforderliche Anhörung bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt wird. Das LSG, das mit dem Eingang der Unterlagen zur nachgeholten Anhörung am 17.1.2018 hiervon Kenntnis erlangt hatte, hätte dies veranlassen müssen, die Beteiligten erneut zu der weiterhin beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss anzuhören. Bei objektiver Betrachtung konnten die Beteiligten erwarten, das LSG werde auf die in der ersten Anhörungsmitteilung nicht thematisierte Frage einer möglichen formellen Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide mangels vorheriger Anhörung sowie einer (aus Sicht der Beklagte...