Der Erblasser wird i.d.R., wenn er sich im Internet bewegt hat, mehrere Nutzerkonten auf unterschiedlichen Plattformen eingerichtet haben. Für die Nutzung einer E-Mail-Adresse oder für Bestellungen bei Onlineversandhändlern hat sich der Erblasser mit seinen persönlichen Daten registriert und ggf. bei kostenpflichtigen Angeboten seine Bankdaten hinterlegt. Hierdurch hat der Erblasser mit dem jeweiligen Anbieter einen schuldrechtlichen Vertrag abgeschlossen. Die Ansprüche und Verbindlichkeiten aus diesen schuldrechtlichen Verträgen gehen grds. mit dem Tod auf den Erblasser über, es sei denn, die Vererbbarkeit ist vertraglich ausgeschlossen oder durch das Wesen des Vertrags ausgeschlossen. Insoweit tritt der Erbe zunächst in die vertragliche Rechtsstellung mit sämtlichen Rechten und Pflichten ein (BGH, Urt. v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, ZEV 2018, 582, 583 = ZAP EN-Nr. 461/2018).
Mit dem Eintritt in die vertragliche Rechtsstellung stehen die Erben häufig vor mehreren Herausforderungen. Einerseits müssen sie zunächst feststellen, bei welchen Anbietern der Erblasser ein Nutzerkonto besaß. Andererseits werden den Erben die Zugangsdaten (Benutzername und Passwort) zu den Nutzerkonten fehlen. Welche Gestaltungsmöglichkeiten der Erblasser hat, um diese Schwierigkeiten zu vermeiden, wird noch zu untersuchen sein (vgl. nachstehend unter V.).
Selbst für den Fall, dass der Erbe die Zugangsdaten kennt, kann ihm ein Zugriff ggf. durch den Anbieter versagt werden. Dieses Problem soll anhand der Entscheidung des BGH (BGH, Urt. v. 12.7.2018, a.a.O.) verdeutlicht werden. Hintergrund der Entscheidung bildet der folgende Sachverhalt (LG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, MDR 2016, 165 ff.):
Am 4.1.2011 registrierte sich die Erblasserin im Alter von 14 Jahren mit Einverständnis ihrer Eltern bei dem sozialen Netzwerk "Facebook". Im Dezember 2012 erfasste eine einfahrende U-Bahn die Erblasserin, die dabei tödlich verunglückte. Die Eltern als Erben sind in der Folgezeit von dem betroffenen Fahrer der U-Bahn auf Zahlung von Schmerzensgeld mit der Begründung in Anspruch genommen geworden, die Erblasserin habe ihren Tod bewusst herbeigeführt (Suizid) und ihn dadurch zumindest bei Facebook anzumelden. Die Benutzerdaten waren ihnen bekannt. Der Versuch scheiterte, da Facebook das Benutzerkonto bereits in den sog. Gedenkzustand versetzt hatte. Konten im Gedenkzustand bieten Personen auf Facebook die Möglichkeit, geliebten Personen zu gedenken, die sie verloren haben (Definition von Facebook, abrufbar unter: https://de-de.facebook.com/help/1506822589577997; zuletzt abgerufen am 29.7.2020). Facebook verweigerte auf Anfrage der Eltern den Zugang, woraufhin die Mutter der Verstorbenen im Namen der Erbengemeinschaft mit dem folgenden Antrag gegen Facebook klagte:
Zitat
"Die Klägerin beantragt, "
die Beklagte zu verurteilen, der Erbengemeinschaft, bestehend aus Frau ... und Herrn ... Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten der verstorbenen ... bei dem sozialen Netzwerk ... unter dem Nutzerkonto ‘ ...’ zu gewähren (LG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, MDR 2016, 165 ff.).
Das LG Berlin verurteilte Facebook antragsgemäß (LG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, MDR 2016, 165 ff.). Das Kammergericht Berlin hob die Entscheidung wiederum auf (KG, Urt. 31.5.2017 – 21 U 9/16, FamRZ 2017, 1348 ff.). Der BGH hingegen entschied zugunsten der Erbengemeinschaft. Wie bereits oben dargestellt, geht bei Tod eines Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks der Nutzungsvertrag grds. nach § 1922 BGB auf die Erben über. Dem Zugang zu dem Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten stehen weder das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers noch das Fernmeldegeheimnis oder das Datenschutzrecht entgegen (BGH, Urt. v. 12.7.2018, a.a.O.). Inwieweit die Vererbbarkeit von digitalen Rechtspositionen grds. ausgeschlossen bzw. der Zugang zu den Nutzerkonten eingeschränkt werden kann, wird unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH noch im Detail dargestellt (vgl. unten IV.).
Nach der Entscheidung des BGH erhielten die Eltern der Verstorbenen bis heute keinen direkten Zugriff auf das Nutzerkonto der Erblasserin. Stattdessen hat Facebook den Eltern einen USB-Stick mit einem 14.000 Seiten langen PDF-Dokument übergeben, auf dem der Inhalt des vollständigen Benutzerkontos der Erblasserin abgespeichert sein soll. Daraufhin setzte das LG Berlin gem. § 888 ZPO ein Zwangsgeld i.H.v. 10.000 EUR gegenüber Facebook fest (LG Berlin, Beschl. v. 13.2.2019 – 20 O 172/15). Das Landgericht vertrat die Auffassung, dass Facebook durch die Übergabe eines USB-Sticks nicht seiner Verpflichtung, den Eltern Zugang zu dem Benutzerkonto zu gewähren, nachgekommen ist (LG Berlin, a.a.O.). Das Landgericht hat es offengelassen, ob der USB-Stick tatsächlich sämtliche Informationen enthält, die sich in dem Benutzerkonto befinden. Gegen die Entscheidung legte Facebook sofortige Beschwerde ein. Das Kammergericht Berlin ho...